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Die Paradoxien des Bruno Bettelheim
Zum hundersten Geburtstag des Psychologen
Klaus Brath

 

Die zwei Gesichter des Bruno Bettelheim

Peter Schneider, Zürich

 

David James Fisher

Psychoanalytische Kulturkritik und die Seele des Menschen

Essays über Bruno Bettelheim unter Mitarbeit von

Roland Kaufhold & Michael Löffelholz

Psychosozial-Verlag 208 Seiten Broschur
Preis: 24,90 €

Die Paradoxien des Bruno Bettelheim 

Als Woody Allen 1982 seinen Film Zelig drehte, besetzte er die kurze Gastrolle eines weisen Pychoanalytikers mit Bruno Bettelheim. Dieser brauchte sich nur selbst zu spielen. Bettelheim, das war damals der Inbegriff des öffentlichen Intellektuellen, eine weltweit geachtete Autorität auf dem Gebiet der Erziehung und der Psychotherapie. Als der österreichisch-amerikanische Psychoanalytiker 1990 von eigener Hand starb und wenig später massive Vorwürfe auftauchten, änderte sich das Bild schlagartig (...) Selten ist eine idealisierte Figur unmittelbar nach ihrem Tod so schnell und schrill angeprangert worden. Der sanftmütige Bruno Bettelheim mutierte zum gewalttätigen "Benno Brutalheim" (Newsweek), aus dem "großen alten Mann der Kinderpsychologie" (Der Spiegel 1987) wurde ein "geltungssüchtiger Patriarch und zwanghafter Hochstapler" (Der Spiegel 1997). (...)

Doch wer war, welche Bedeutung hatte Bruno Bettelheim wirklich? (...) Bettelheims äußere Entwicklungslinien offenbaren nicht viel. Wer sich seinem vielschichtigen Wesen und Werk annähern will, erhält nun gute Gelegenheit dazu. Aus Anlaß von Bettelheims hundertsten Geburtstag veröffentlicht der amerikanische Kulturhistoriker und Psychoanalytiker David James Fisher dieser Tage eine Sammlung von Essays. Fisher, dem sich Bettelheim gegen Ende seines Lebens freundschaftlich anvertraut hatte, würdigt in seinem Buch den Psychologen kenntnisreich, intim und illusionslos als "Mann von wesenhaftem Paradox": einen auf kreative Weise deprimierten Menschen, der außerordentlich schroff und arrogant, aber auch äußerst einfühlsam und gütig sein konnte, der wissenschaftlich stimulierte, aber auch irritierte, der sich selbst und den eine breite Öffentlichkeit als Erbe Freuds ansah, doch vom psychoanalytischen Establishment ignoriert oder heftig kritisiert wurde.

Widersprüche über Widersprüche kennzeichnen auch Bettelheims wissenschaftliche und therapeutische Verdienste. Unbestritten schuf er mit seiner Chicagoer Orthogenic School früh einen mutigen und einfallsreichen Ansatz eines optimalen therapeutischen Milieus für seelisch schwer gestörte Kinder. Sein Buch "Kinder brauchen Märchen" wurde ein Bestseller, sein Postulat, jedes Verhalten, jede Phantasie, jedes Gefühl, aus der Perspektive des Kindes wahrzunehmen zum Eckstein der modernen Kinder- und Jugendpsychologie. Aber Bettelheim überzeichnete auch seine therapeutischen Erfolge und findet heute mit seinen psychogenetischen Autismustheorien nur noch wenig Resonanz.

Paradox war auch sein Umgang mit der Schoa: Immer wieder betonte Bettelheim einerseits die große Bedeutung der Empathie - doch ausgerechnet gegenüber seinen jüdischen Leidensgenossen äußerte er sich bisweilen sehr unsensibel: Er kritisierte die angebliche Passivität und Infantilität der Schoaopfer, beklagte ihr, wie er es sah, jahrhundertelang eingeübtes Ghettodenken und attestierte ihnen eine unbewußte Identifizierung mit dem Angreifer.

1943 hatte Bettelheim in Amerika die erste und eine bis heute wichtige psychologische Studie über Extremerfahrungen im Konzentrationslager veröffentlicht - Erfahrungen, die auch ihn prägten. "Ich glaube", so bekannte er 1988 gegenüber D. J. Fisher, "daß jeder, der eine Zeit in einem deutschen Konzentrationslager zugebracht hat - es muß nicht unbedingt ein Vernichtungslager sein - ein Gefühl der Schuld und Scham niemals los wird. ... Das Problem ist, daß man fühlt, daß niemand wirklich versteht, was man durchgemacht hat."

Am 13. März 1990 nahm sich Bruno Bettelheim, der in den letzten Jahren seines Lebens mehrere Schlaganfälle, den Verlust seiner zweiten Frau und andere private Enttäuschungen zu verkraften gehabt hatte, das Leben - am zweiundfünfzigsten Jahrestag der Besetzung Österreichs durch die Nazis. 

                                                                                                         Klaus Brath

 Erschienen in: Jüdische Allgemeine. Wochenzeitung für Politik, Religion und jüdisches Leben,
28. August 2003, anlässlich Bettelheims 100. Geburtstages.

 

 

 

Die zwei Gesichter des Bruno Bettelheim  

Am 13. März 1990 tötete sich Bruno Bettelheim, indem er sich eine Plastiktüte über den Kopf zog. Sowohl die Todesart als auch das Todesdatum waren symbolträchtig. Der 86jährige in Wien geborene jüdische Psychoanalytiker hatte den 52. Jahrestag des „Anschluss’“ Österreichs als seinen Todestag bestimmt, und er hatte den Tod durch Ersticken gewählt, welcher von den Nazis den Juden in den Vernichtungslagern zugedacht worden war. Bettelheim war diesem Schicksal nach einjähriger Gefangenschaft in Dachau und Buchenwald vermutlich durch einen „Freikauf“ entgangen, so dass er 1939 in die USA emigrieren konnte.

Nur kurze Zeit nach seinem Selbstmord mutierte der einst als einer der bedeutendsten Kindertherapeuten gefeierte Bruno Bettelheim in der öffentlichen Meinung zur Monsterfigur des „Benno Brutalheim“. (...)

Ganz ohne Enthüllungsfuror hingegen kommt ein jetzt erschienenes Buch aus, das der amerikanische Historiker und Psychoanalytiker David James Fisher aus mehreren von ihm in den neunziger Jahren verfassten Essays zu Bruno Bettelheim zusammengestellt hat. Der äussere Anlass der Veröffentlichung ist dessen 100. Geburtstag Ende August dieses Jahres. Aus freundschaftlicher Nähe, aber durchaus nicht ohne kritische Distanz stellt Fisher Bettelheims Beiträge zur psychoanalytischen Theorie, zur Kinderpsychologie und zum Verständnis des Nationalsozialismus, des Holocausts und seiner psychischen Folgen für die Überlebenden dar.

Bereits 1943 hatte Bettelheim in einem langen Artikel über „Individuelles und Massenverhalten“ die spezifische Form der Traumatisierung der KZ-Insassen analysiert. Eine Erfahrung, die er in einem Gespräch mit David Fisher später so beschrieb: „Die Erlebnisse im KZ verwüsten das Ich, denn das Ich kann einen nicht länger beschützen. Das Ich wird defizitär. Jede empfindsame Person erlitt eine sehr ernste Schwächung des Ich, oder, wir können auch sagen, es wird schwierig, den Todtrieb einzudämmen. Man vertraute nicht länger darauf, dass das Ich fähig sei, zu funktionieren.“ Man könnte spekulieren, dass die „Milieutherapie“ für psychisch schwer gestörte Kinder, welche Bettelheim ab Mitte der vierziger Jahre an entwickelt hatte, seinen Gegenentwurf zum terroristischen und mörderischen Regime der Konzentrationslager darstellte: Eine umfassend gutmütige und stützende Umgebung, welche der Entwicklung und Förderung der Ichfunktionen dienen sollte. Dass  mindestens für manche der Bewohner der „Orthogenetic School“ das gutgemeinte therapeutische Milieu zur totalitären Institution wurde und das abgewehrte Böse im autoritären und brutalen Verhalten des Leiters dieser Einrichtung wiederkehrte, ist überaus tragisch und dennoch – gerade unter psychoanalytischer Perspektive – kaum überraschend. (...)

Dieses Buches kann als gut verständliche Einführung in das Werk eines Autoren dienen kann, dessen theoretischen Verdienste auch die berechtigte Kritik an seinem persönlichen Verhalten nicht beeinträchtigen sollte. Bettelheims kleines Buch über „Freud und die Seele des Menschen“ zum Beispiel, in dem er mit seiner Kritik der Übersetzung  der Werke Freuds in Englische zugleich eine fulminante Polemik gegen die szientistische Rezeption der Psychoanalyse vorträgt, gehört nach wie vor zu den wichtigen Arbeiten zur „Philosophie“ der Psychoanalyse.

Dr. Peter Schneider (Zürich)

© ProLitteris / Schneider Peter / NZZ am Sonntag; 16.11.2003; Seite 79; Nummer 46

 

Dr. Peter Schneider lebt und arbeitet als Psychoanalytiker, Publizist und Radioredakteur in Zürich. Er ist Mitglied des Psychoanalytischen Seminars Zürich (PSZ). Buch- und Aufsatzpublikationen vor zu theoretischen Problemen der Psychoanalyse; daneben zahlreiche Publikationen satirischer, kabarettistischer und parodistischer Bücher, Buchbeiträge und Radiosendungen.

 

Internet: www.peterschneider.info

 

 

siehe auch:
Thomas Aichhorn: David James Fisher: Psychoanalytische Kulturkritik und die Seele des Menschen. Essays über Bruno Bettelheim unter Mitarbeit von Roland Kaufhold & Michael Löffelholz [Rezension]

 


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