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Wünscht Jerusalem Frieden!
  B
efriedet seien, die dich lieben!

    (Psalm 122)

Text zur Demonstration: 
Solidarität mit Israel: Gegen Antisemitismus und Antizionismus

am 14.04.2002 in Berlin

Matthias Loerbroks

 

Die Evangelische Kirche in Berlin-Brandenburg hat, wie inzwischen fast alle evangelischen Landeskirchen, erkannt und bekannt, dass es zum Wesen einer christlichen Kirche gehört, mit Israel solidarisch zu sein; dass ihr Bekenntnis zu Jesus Christus sie auch mit seinem Volk verbindet, sie an Israel bindet; dass es darum zwar nicht ihre einzige, aber ihre Kernaufgabe ist, so zu leben und zu lehren, dafür zu beten und zu arbeiten, gerade zu stehen und einzutreten, zu kämpfen, dass Israel leben kann und nicht sterben muss. 

Sie hat damit die Jahrhunderte alte verhängnisvolle Irrlehre verworfen, die christliche Kirche habe Israel als Gottes Volk ersetzt und abgelöst. Sie hat mit Scham und Entsetzen erkannt, mit dieser falschen Lehre denen den Weg bereitet zu haben, die die theologisch-theoretische Rede vom Ende Israels wörtlich nahmen und umsetzten und diesen Mord Endlösung nannten. Sie ist mit dieser Erkenntnis und mit diesem Bekenntnis im Wort vor Gott und den Menschen, bei Israel und den Völkern.

Und nicht nur im Wort. Sie weiß aus der Bibel, dass der Gott Israels einer ist, der Herzen und Nieren prüft, sich also nicht nur für den Wortlaut kirchlicher Beschlüsse und Bekenntnisse interessiert, sondern für Gefühle, für spontane Regungen. Die Kirche wird gegenwärtig geprüft, ob es ihr ans Herz und an die Nieren geht, dass Israel an Leib und Seele bedroht ist wie nie zuvor seit der Staatsgründung, trotz seiner militärischen Überlegenheit. In kaum einem anderen Land ist das Leben für Juden so lebensgefährlich wie in dem Staat, der gegründet wurde, um Juden einen sicheren Ort zu bieten. Bedroht durch Selbstmörder, die in der Tat selbst Mörder sind, Täter, nicht Opfer, keine Märtyrer. Und sie zielen nicht nur auf Siedler und Soldaten, sondern auf Juden weil sie Juden sind: Jugendliche in der Disko, Gäste am Seder-Abend, Restaurantbesucher und Käufer, Benutzer von Bussen und Straßen. Diese Morde machen blutig deutlich, dass es nicht nur um die besetzten Gebiete geht, sondern um Haifa, Netanya und Tel Aviv, nicht nur um Ostjerusalem, sondern auch um Rechavia, Kiriat Hajuwel, Machne Jehuda. Mir zerreißt es das Herz, dass immer mehr Israelis offen oder heimlich befürchten, das Experiment Israel sei zum Scheitern verurteilt, der Staat Israel könnte eine Episode von ein paar Jahrzehnten bleiben. Und es geht mir an die Nieren, dass jedenfalls die große Mehrheit der Israelis und jedenfalls zur Zeit sich zu Mitteln gezwungen sieht, die auch diejenigen nicht heil lassen, die sie anwenden. Israel ist bedroht an Leib und Seele.

Auch darin werden Christen auf Herz und Nieren geprüft, ob ihre Solidarität mit Israel an die Bedingung geknüpft ist, dass es dem traditionellen christlichen und deutschen Bild von Juden entspricht, nämlich wehrlose Opfer zu sein; ob Israel also unsere Solidarität sofort einbüßt, wenn es tätig und zum Täter wird, auch zuschlägt. Eine Solidarität, die Bedingungen aufstellt, die erst mal zu erfüllen sind, die nur auf Bewährung gewährt wird, ist keine. Das heißt natürlich nicht, wie immer wieder interessiert missverstanden wird, man dürfe Israels Regierung und ihre Politik nicht kritisieren. Selbstverständlich kann man das, und es geschieht ja auch ständig, in Israel und anderswo, bei Juden und Nichtjuden. Sätze, die mit „Es muss erlaubt sein“ beginnen, sind verlogen, weil sie so tun, als wäre da was verboten; weil sie voraussetzen, was immer schon antisemitisches Hirngespinst war, dass die Welt oder jedenfalls die Weltöffentlichkeit von Juden beherrscht ist; weil sie suggerieren, es gehöre ungeheurer Mut dazu, etwas zu sagen, was in Wirklichkeit gar nichts kostet. Solche Sätze zeigen nur, wie dringlich offenbar und wie tief das Bedürfnis ist, Israel zu kritisieren.

Kein Antisemit ist nicht, wer meint, keiner zu sein, sondern wer an Israel keine anderen Maßstäbe anlegt, als an andere Staaten. So hat es Helmut Gollwitzer schon in den 70er Jahren gesagt. Und es ist in der Tat auffällig, wie viel interessanter es ist, nicht erst seit gestern und nicht nur in Deutschland, was Israel den Palästinensern antut, als das, was Jordanien, Syrien, andere arabische Staaten ihnen taten und tun. Harald Martenstein hat im Tagesspiegel solche strengeren Maßstäbe an Israel damit verteidigt, dass Israel eine Demokratie ist, sich auf Menschenrechte verpflichtet hat. In der Tat ist Israel die einzige Demokratie im Nahen Osten, auch das einzige Land, in dem es eine Friedensbewegung, Gruppen wie Bezelem, eine unabhängige Justiz gibt, und auch weltweit eins der wenigen Länder, in denen es nicht nur erlaubt, sondern geboten ist, Befehle zu verweigern, die unrecht sind. Aber es wäre Rassismus, von arabischen Staaten so etwas erst gar nicht zu erwarten, sondern nur Barbarei.

Doch die feinsinnigen Unterscheidungen zwischen Israelkritik und Antisemitismus werden immer mehr gegenstandslos. Das zeigen die Anschläge auf Synagogen und Friedhöfe in vielen Ländern. Das zeigen die ständigen Vergleiche zwischen der Politik Israels und den Taten der Nationalsozialisten. Da ist von Vernichtungskrieg die Rede, von Völkermord, gestern ausgerechnet hier in Berlin sogar vom Holocaust am palästinensischen Volk. Solche Vergleiche, denen Zweck und Absicht grell auf der Stirn geschrieben steht, waren vor zwanzig Jahren noch das zweifelhafte Privileg der deutschen Linken, sind inzwischen auch von Konservativen, auch in christlichen Kreisen zu hören, was zeigt, dass da einige sich wirklich für ein paar Jahre nur mühsam verkniffen haben, das zu sagen, was sie immer schon dachten. 

Und schließlich die merkwürdige Tatsache, dass auch Menschen und Medien, die sonst nicht besonders bibelfest sind, im Zusammenhang mit Israel ständig und geradezu zwanghaft Worte wie „alttestamentarisch“ oder Rache oder Vergeltung einfallen oder das stets und vor allem von Christen missverstandene Bibelwort „Auge um Auge, Zahn um Zahn“. Da wird die kritisierte Politik des Staates Israel geradezu mit dem Wesen des Judentums gleichgesetzt. Und das zeigt: jene christlich antijüdische Irrlehre ist auch dann noch wirksam, wenn das Christentum gesellschaftlich kaum noch eine Rolle spielt. 

Es ist beklemmend, wenn manchmal auch Juden in diesem Land sich fast beflissen von Israel distanzieren und behaupten, es sei Scharons Politik, die neuen Antisemitismus schafft, und als könnten sie dem durch solche Distanzierungen entgehen. Aber 1. gibt es keinen neuen Antisemitismus und 2. hat Antisemitismus mit dem, was Juden in Israel oder sonst wo tun oder nicht tun, wenig zu tun.

„Wünscht Jerusalem Frieden! Befriedet seien, die dich lieben! Friede sei in deinen Mauern, befriedet deine Paläste! Um meiner Brüder und um meiner Genossen willen will ich Frieden herbeireden für dich“ (Psalm 122,6-8).

Matthias Loerbroks (Dr. theol.), Pfarrer in Berlin

Besucher seit dem 29.04.2002


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