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Über den Austausch von "Doppelgängern"

 

"Kratze an jedem beliebigen Wort und du findest eine Metapher." Gamm (1992, 76)

"Metaphern sind ‘Doppelgänger’, ihnen eignet die Fähigkeit, heterogene Kontexte so miteinander zu verbinden, daß Bedeutungen aus dem einen in den anderen ‘übertragen’ werden können - aber das wird nicht immer erkannt."
Buchholz (1993, 9)

Metaphern im psychoanalytisch-psychotherapeutischen Dialog *

Darstellung der Arbeit von Michael B. Buchholz,
Die Metapher im psychoanalytischen Dialog
(1997)
Psyche 1/99 545-571 nebst einiger ergänzender Anmerkungen.

Rudolf Süsske
Dipl.-Psych.

Buchholz leitet seinen Aufsatz mit einer Defizitanzeige ein: "Was wir nicht kennen - der therapeutische Dialog" (S.545 Seitenangeaben ohne Quelle beziehen sich auf den o.g.. Text). Was während psychoanalytischer Sitzungen wie geschieht, wüßten wir - trotz intensiver wissenschaftlicher Bemühungen - immer noch nicht. Dabei lenkt er unsere Aufmerksamkeit auf die fragwürdige Gleichsetzung von professionellem Handeln und Wissenschaft. Letztere befragt die Phänomene auf ihren Allgemeinheitscharakter und ihre kausal-regelhafte Verknüpfung hin, während es unsere Profession mit individuellen , einzigartigen und instabilen Problemlagen zu tun hat. Selbst H.H.Strupp, ein "Großmeister empirischer Psychotherapieforschung", stellte 1996 fest:

"Es scheint, als gäbe es etwas Einzigartiges in einer jeden Patient-Therapeut-Dyade, was über all jene Patienten- und Therapeutenvariablen hinausgeht, die in den letzten Jahrzehnten überwiegend untersucht wurden"

So seien nicht nur Einzelfalluntersuchungen notwendig, es bedürfe auch theoretischer Anstrengungen, um eine allgemeine Theorie zu entwerfen, die dennoch den variablen Einzelfällen gerecht würde. In diesem Zusammenhang wird die Metapher bedeutsam.

Im Gegensatz zur naturwissenschaftlich orientierten Forschung, in der die Objekte eindeutig (operational) bestimmt sind, haben wir zu akzeptieren, "daß wir über keine externen und definierten Untersuchungsobjekte verfügen" (Tuckett 1993, zit.546). Wenn wir über ‘klinische Fakten’ sprechen, geraten wir umghend in Dispute über Theorien, die sich hinter den vermeintlichen ‘facts’ verbergen.

"... was wir üblicherweise haben, ist so etwas wie ein Set von Kleinianischen Fakten, Winnicottschen Fakten, Kohutschen Fakten (...) und so weiter" (Cooper 1996, zit.ebd.)

Traditionell wäre mit dieser Aussage die Unwissenschaftlichkeit der Psychoanalyse bewiesen, doch setzt sich langsam die Erkenntnis durch, daß es keine strikte Trennung von Theorie und Fakten gibt. Wissenschaftsgeschichtlich gibt es aber einen erheblichen time-lag zwischen den Erkenntnissen der Wissenschaftstheorie und dem Selbstverständnis der Einzelwissenschaften.

"Spricht die Seele, so spricht Ach!, schon die Seele nicht mehr."
Schiller

Für Buchholz ist entscheidend, "was wir wie über unsere klinischen Erfahrungen denken, wie wir sie sprechend und kommunizierend organisieren" (546). Dieses Zitat verweist auf einen Transformationsprozeß: "Indem wir seelische Erfahrung in Worte zu fassen versuchen, fädeln wir sie in ein anderes System, das der Kommunikation, ein" (ebd.). Nie können wir die Fülle unserer Gedanken vollständig und zeitgleich kommunizieren. Die Kommunikation - das in Worte fassen - ist im Vergleich zur Geschwindigkeit der Gedanken höchst langsam, wählt aus, schattet ab - gehorcht anderen Regeln. Die Seele selbst spricht nicht.

An dieser Stelle kommt Buchholz’ Rezeption systemtheoretischer Theorie ins Spiel. Wir können dies nur kurz andeuten: Luhmann geht in der Nachfolge von Maturana & Varela von einer strikten Trennung zwischen Bewußtsein (Psychisches System) und Kommunikation aus. Für beide gilt das Prinzip operationaler Geschlossensheit, dh. wir haben keinen direkten Zugang zu den Vorstellungen, Gedanken und Imaginationen der Anderen. Auf der Ebene der Bewußtseine / psychischen Systeme gibt es keinen Ausstausch, keine Einflußnahme. Letzteres kann nur ein Beobachter so nennen. Es handelt sich aber bei diesen Prozessen - nach Ansicht der Systemtheorie - um einen Vorgang, den diese "strukturelle Kopplung" nennt. Beim Wechsel der Systeme werden Vorstellungen & Gedanken zu Zeichen & Symbolen transformiert. Gänzlich verschieden, verweisen sie jedoch auf etwas Gemeinsames - einen Sinn. - Ich habe den Eindruck, daß Buchholz - obwohl er Luhmann zitiert - nicht ganz so weit geht, da er für Augenblicke "höchster Intensität" und "tiefstgehender Erfahrung" von einer Durchlässigkeit der "Grenze zwischen Psychischem und der Kommunikation" (547) spricht und auf die Nähe zu meditativen Praktiken hinweist. Dies seien vornehmlich Augenblicke des Schweigens. - Seine Beschreibung des Verhältnisses von Denken/Vorstellen/Erfahren zur Kommunikation erinnert eher an Merleau-Pontys reprise : aus dem beständig sich wandelndem Feld thematischer und unthematischer Gedanken und Empfindungen wird etwas hervorgehoben, motiviert ausgewählt und in eine Ausdrucksgestalt (Gestik, Mimik, Sprechen) transformiert.

Wie dem auch sei, folgen wir dem Autor weiter: Sobald wir in der Therapie etwas sagen, zu sprechen beginnen, verwenden wir unweigerlich Metaphern. Freud z.B. schreibt in seinen Vorlesungen (1916-17) ziemlich nüchtern, zwischen Analysiertem und Arzt gehe nichts anderes vor als der "Austausch von Worten". (zit.547)

Die Metapher vom "Austausch" organisiert die klinischen Fakten, hier: was ist bzw. wie funktioniert ein psychoanalytischer Dialog. Der eine liefert das ‘Material’, der/die Andere quittiert mit einer Deutung. Doch so marktmäßig geht es selten zu. In der Therapie wird auch betrogen, gekämpft, ertrotzt, mühsam gerungen, verweigert und gebettelt.
Wir sehen, die Metapher vom "Austausch" hat nicht nur erhellende (highlighting) 1, sondern auch verdunkelnde, verzerrende (obscuring aspects) Aspekte. Wie wir noch hören werden, kommen diese Aspekte den Metaphern aber nicht per se zu, sondern sind an differente Kontexte (frames) gebunden. Freuds nüchterne Beschreibung wandte sich gegen Vorstellungen, Therapie hätte etwas Geheimnisvolles oder Unsittliches an sich. Für die anderen Aspekte des therapeutischen Geschehens bediente er sich anderer Metaphern (z.B. Chirurg, Spiegel, Lehrer, Dämonenbekämpfer). Daraus erkennen wir : nicht die Verwendung von Metaphern ist problematisch, sondern die Fixierung des Denkens auf eine bestimmte.

Um vermeintlicher Eindeutigkeit willen, wird üblicherweise die Forderung gestellt, Metaphern durch Begriffe zu ersetzen, denn nur Begriffe gelten als "Elemente einer (...) wahrheitsfähigen Rede" (549). Ob dem wirklich so ist, werden wir noch zu erörtern haben. Wir können aber festhalten, daß die Metapher uns "ein Wissen voraus (hat), das wir im Begriff immer erst einholen müssen, aber oft nicht erreichen.

Denken wir beispielswise an Formeln wie >die Sonne lacht<, und versuchen wir einmal, eine solche Aussage in Begriffe zu übersetzen. Wir merken dann nicht nur, wie mühsam und quälend ein solcher Versuch ist. Wir haben des weiteren erhebliche Informationsverluste in Kauf zu nehmen. Verloren ist die spezifische Qualität, die Poesie des metaphorischen Sprechens. Sie ist im theoretischen Begriff nicht präsentiert" (ebd.).

Buchholz spricht ausdrüclich von Metaphern, nicht von Symbolen oder Allegorien. Gemeinsam ist ihnen das "doppelte Sprechen": sie sagen das eine und meinen das andere. Wenn ein Patient in die Stunde kommt und sagt, er habe sich viele Themen überlegt, jetzt sei es aber, als wäre ein Korken auf der Flasche 2 - so benutzt er ein Beschreibung aus dem Bereich (A) alltäglicher Gegenstände (Flasche & Korken), um ein Problem im Bereich (B) seiner kognitiven Leistungsfähigkeit in der Gesprächssituation zu benennen. - Symbole und Allegorien setzen eine zumeist eindeutige Übersetzungsleistung voraus, deren Regeln man beherrschen muß, um sie zu verstehen. "Bei Botticelli ist die nackte Schöne eine Allegorie des Frühlings". Wer dies nicht weiß, sieht nur einen weiblichen Akt dargestellt.

Sah man im Mittelalter auf einem Bild einen Löwen und ein Lamm zusammen liegen, so war nicht nur die Schriftstelle Jesaja 11, 6-8 präsent: "Da wird sein der Wolf beim Lamm, und der Leopard wird beim Böcklein lagern (...) Der Löwe wird wie das Vieh Stroh fressen" etc. Das Bild ließ auch das messianische Zeitalter assoziieren und mit dem Lamm war - für den christlichen Leser - Jesus Christus präsent 3. - Ähnliches gilt von Freuds Traumsymbolen, denen eine eindeutige Regelhaftigkeit unterstellt wurde (z.B. Treppen steigen = Geschlechtsverkehr). Damit stand er in der Tradition antiker Traumbücher, von der er aber später - mit Blick auf die je individuellen Sinngestalten - Abstand nahm. C.G.Jung dagegen gibt den Symbolen einen quasi-ontologischen Status 4.

Im Folgenden setzt sich Buchholz mit der psychoanalytischen Symboltheorie Alfred Lorenzers auseinander, um an ihr die Stärke seiner (kognitiv linguistischen) Metaphernkonzeption zu belegen 5.

Zur Bestimmung seines Symbol-Verständnisses greift Lorenzer auf den Begriff der Repräsentanz zurück, der ein "innerpsychisches Triebobjekt" kennzeichnet, welches im Besetzungsvorgang ein äußeres Objekt vertritt. Symbole sind demnach:

"psychische Gebilde, die äußere Objekte und Vorgänge oder innere Vorgänge repräsentieren, die von diesen Objekten im Wahrnehmungs- bzw. Erkenntnisprozeß unterschieden werden können und die als selbständige Einheiten Gegenstand der Denk- und Erkenntnisprozesse werden" (Lorenzer 1970, 91)

Symbole ermöglichen ein reflexives Welt- und Selbstverständnis, also Probehandeln im Denken (instrumentelles und strategisches Handeln vorbereitend) und Durchsichtigkeit der eigenen Handlungsmotive. Bis zu diesem Punkt haben wir eine symbolvermittelte Sozialpsychologie vor uns, würde Lorenzer nicht die Bedeutung unbewußter Repräsentanzen - die er Klischees nennt - hervorheben. Klischees sind entwicklungsgeschichtlich Folge der Verdrängung von Symbolen. Verdrängung halbiert so den Sinn von Interaktionsformen, dh. Klischees wirken verhaltensdeterminierend (neurotisches Symptom, Wiederholungszwang, Übertragung), sind aber insofern unbewußt als sie dem sprachlich-symbolisch verfaßten Selbstverständnis entzogen bleiben. Sie sind exkommuniziert.

Das Symbol kann aber auch in "entgegengesetzter" Richtung deformiert werden. Es wird emotional leer, zunehmend vom Bezeichneten und dem Hof der mitgemeinten Bedeutungen (Konotationen) isoliert (Abwehrmodi der Affektisolierung und Rationalisierung wären hierin begründet). Fassen wir das soeben Gesagte in ein Schaubild zusammen:

Klischee   Symbol  

Zeichen

unbewußt   vorbewußt / bewußt   bewußt
nicht sprachlich faßbar   potentiell sprachlich   sprachlich
fehlende Erkennbarkeit   Erkennbarkeit   Erkennbarkeit
Rigdität   Flexibilität   Rigidität
Determinierung des Handelns durch Kopplung an die ‘Szene’
Wiederholungszwang
  Reflexion möglich durch relative Autonomie der Symbole, die denkendes Probelhandeln ermöglichen   Reflexion möglich, jedoch totale Abkopplung von der ‘Szene’
unverzögerte Entladung
(Parallele zum Reiz-Reaktions-Verhalten i.S. des Behaviorismus)
  Triebaufschub    
libidinös stark besetzt   libidinöse Besetzung, jedoch mit hohem Anteil neutralisierter Energie   emotional leer
Vermischung von Subjekt - Objekt, Repräsentanz - Repräsentiertem   Differenzierung von Subjekt-Objekt, Repräsentanz - Repräsentiertem   Verabsolutierung der Repräsentanz
         
Klischee   Symbol   Zeichen
Verdrängung   Therapie   Intellektualisierung

Aus dieser Übersicht sollte annäherungsweise deutlich werden, was Lorenzer mit dem Titel "Sprachzerstörung und Rekonstruktion" (1973) meint; neurotisches Leid ist in einem De-symbolisierungsprozeß hinterlegt, der in der Therapie wieder rückgängig gemacht wird. Das therapeutische Übertragungsgeschehen bedeutet eine erneute "szensiche Einführung in die Sprache".

Wie Buchholz richtig bemerkt, schwebt Lorenzer das kommunikative "Ideal der Fähigkeit des Sagens und Mitteilens" (553) vor; wahre Verständigung und Selbstverständigung gründen in Versprachlichung, was jedoch zu einer "rationalistischen Schieflage (bias)" führt.

Diesem Konzept stellt Buchholz - wie erwähnt - die Ergebnisse der kognitiven Linguitik Lakoffs & Johnsons (1980) gegenüber, die von einer basalen Metaphorizität der Sprache ausgehen..
Wir versuchen jedoch zuvor, etwas genauer zu bestimmen, was mit dieser These von der Metaphorizität der Sprache gemeint sein könnte. Dazu bedarf es eines kleinen Exkurses.

"Je näher man ein Wort anschaut, desto ferner blickt es zurück."
Karl Kraus

Die Diskussion um die Metapher hat eine sehr lange Tradition, die bis in die Zeit des Streits um die Rhetorik zwischen sokratischen Philosophen und Sophisten zurückreicht. Bis heute erhält sich jedoch die Auffassung, die Metapher sei eine "Schmuckform literarischer Rede". Vereinfacht finden wir folgende Vorstellung:

Es gibt eine vernunft- oder verstandesgemäße Wahrheit, ein Gedanke, eine Idee, die mittels Sprache kommuniziert wird. Die präzise, dh. begriffliche Sprache ist lediglich ein Vehikel, ein Instrument der Übermittlung 6. Transzendentale oder empirische Konstitutionstheorien arbeiten mit einem Set an Kategorien und/oder Schemata, deren Anwendung die Repräsentanz eines Gegenstandes oder Sachverhaltes hinreichend bestimmen lassen. Das Denken ist eindeutig dem Sprechen vor- bzw. Übergeordnet.

Freud steht in seinen metapsychologischen Spekulationen noch in dieser Tradition, obgleich er neben der Sachvorstellung eine an diese gekoppelte Wortvorstellung etabliert. Die Doppelstruktur dieser Vorstellung(en) entspricht dem, was Lorenzer >Symbol< nennt. Geht aufgrund der Verdrängung die definitionsgemäß bewußte/vorbewußte Wortvorstellung verloren, so bleibt die unbewußte Sachvorstellung zurück, jedoch ohne ihre verhaltensdeterminierende Virulenz zu verlieren. Ohne Mühe erkennen wir Lorenzers >Klischee<. - Beide gehen von einer fragwürdigen Referenz-Semantik aus: dh. von einem Gegenstand oder Sachverhalt - dem Repräsentierten - auf der einen und einem Wort - dem Repräsentierenden - auf der anderen Seite 7.

Ohne diese Einleitung wird nicht deutlich, auf welchem Hintergrund Buchholz der Theorie Lorenzers vorwirft, in ihr bedeuten "Worte Namen für Sachen/ Vorstellungen" (553).
Damit kritisiert er ineins die verbreitete "Substitutionstheorie" der Metapher, die auf Aristoteles zurückgeht. Hierin gründet die ursprüngliche Wortbedeutung von Metapher = Übertragung. Die analogische Übertragung ist dabei die wichtigste.

"... Beispiel: das Alter verhält sich zum Leben wie der Abend zum Tag. Also kann man das Alter metaphorisch Abend des Lebens nennen".

Das Wort scheint lediglich ein Etikett, ein Name zu sein, das/den man auswechseln kann - also "alter Wein in neuen Schläuchen". Doch folgt man dem Beispiel, so spürt man unschwer,

"daß das begriffslogische Muster (...) nicht befriedigend ist. Wohnungsbaugesellschaften, die Seniorenheime für den Abend des Lebens anbieten, wollen ja mit dieser Formulierung nicht, daß einfach an das Alter (mit seinen Gebrechen) gedacht wird, sondern an ein heiteres, problemloses Alter. Denn diese Bedeutung wird suggeriert durch die Bedeutung des traditionellen Bildfeldes Abend, das Friedliches und Besinnliches ins Gedächtnis rufen soll. (...) Um diese suggestive Wirkung der Metapher zu erklären, reicht das Kalkül einer Begriffslogik nicht aus". (Kurz 1988, 10)

Gegen die Versprachlichung setzt Buchholz - mit Lakoff & Johnson - die Ver-bildlichung. Vor dem Begriff steht die Imagination, auf diese weist die Metapher hin, ohne sie zu ersetzen, dh. es gilt hier nicht das Prinzip der ‘Substitution’8. Die Metapher weist stets über sich hinaus, sie stellt nicht fest, sondern dar, dh. eröffnet eine Perspektive, eine Sicht auf ... "Metaphern deuten, sie deuten an, nicht hin" (1993, 8).

"Sie >steht für< etwas Anderes, aber dieses Andere "ist nur >da<, wenn ein Hörer eine funktional äquivalente Vor-stellung entstehen lassen kann. Diese Vorstellung selbst ist nicht mitteilbar. Deshalb >steht< die Metapher nicht >für< die Vorstellung, sie ist ein Wegweiser zur Vorstellung. Sie zeigt eine Gegenstandsdarstellung und macht zugleich transparent, daß sie nur eine bestimmte Perspektive auf ihn eröffnet; eine alternative Metapher würde einen anderen Gegenstand konstituieren." (553f)

Buchholz versucht hier - sofern wir ihn richtig verstehen 9 - zweierlei:

a) einerseits will er die Trennung von Bewußtsein und Kommunikation (i.S. Luhmanns) weitgehend aufrechterhalten, was sich in der Formulierung "die Metapher (= Kommunikation) >stehe< nicht >für< die Vorstellung / Imagination (= Bewußtsein) 10" zeigt;
b) andererseits soll die Metapher eine "Brücke zwischen dem psychischen und dem sozialen System der Kommunikation" (554) bilden. Sie erlaube uns, Erlebnisse nicht auf Ereignisse zu reduzieren, sondern sie als Bilder zu sehen (vgl.ebd.).

Kommunikation zielt auf gemeinsam geteiltes, propositional 11 gefaßtes Wissen. In der Prüfung von Geltungsansprüchen der Aussagen bezieht sie sich auf Inhalte, derer es sich zu vergewissern gilt.
Imagination
zielt darauf, Erlebnisse zu erfahren, der "psychischen Realität" nahezukommen. Metaphern dienen diesem Prozeß, von dem man vielleicht sagen könnte, er sei einer der "unendlichen Annäherung". In einer Fest-stellung, einer endgültigen Übersetzung

"verliert die Metapher den Charakter des ‘Zündenden’. Eine gute Metapher im richtigen Augenblick ist wie ein Blitz aus heiterem Himmel (...). Für die Dauer des Leuchtens gibt es ein’sharing’ geteilter Vorstellungen - durch die Sprache, aber jenseits von ihr" (ebd.)

Nachdem sich nun die Metapher gegenüber dem Begriff legitimiert hat, geht es um ihre Differenzierung. Manifeste Metaphern sind offen ausgesprochene, wie im o.g. Beispiel: "ein Patient kommt in die Stunde und sagt, er habe sich viele Themen überlegt, jetzt sei es aber, als wäre ein >Korken auf der Flasche<". Wir kennen alle solche Stunden, deshalb wenden wir uns sofort der zweiten Form zu. Wie Lakoff & Johnson sagen, steckt die Metapher nicht nur in den Worten, sie steckt schon in der Organisation unseres Denkens, unserer Erfahrung. Wörtlich kommen sie im Gespräch nicht vor, dh. sie müssen erschlossen werden. Buchholz spricht hier von konzeptuellen Metaphern. Dazu einige Beispiele (Carveth 1993, 20ff):

"DER GEIST IST EINE MASCHINE 12
Wir haben den ganzen Tag an diesem Problem gearbeitet, und jetzt ist der Dampf raus.
Jetzt ist der Groschen gefallen.
Wenn er sauer ist, kann er ganz schön explodieren.
Du hast wohl ein Rad ab".
Du stiehlst mir meine Zeit.
Du mußt deine Zeit besser einteilen.
Ich hab’ meine Zeit nicht auf der Straße gefunden.
Da hab’ ich ‘ne Menge Zeit investiert."

"STREIT IST KRIEG
Wortgefecht
Er griff jeden schwachen Punkt meiner Argumentation an.
Einen Streit habe ich noch nie gewonnen."

Wir können Auseinandersetzungen gewinnen oder verlieren, den Gegner mit Argumenten schlagen; müssen Positionen räumen, können argumentativ standhalten oder untergehen.

"Man versuche nun einmal, sich eine Kultur vorzustellen, in der Streit nicht als KRIEG verstanden wird (...), wo es kein Gefühl für Angriff oder Verteidigung (...) gibt. Man stelle sich etwa eine Kultur vor, in der eine Auseinandersetzung als ein TANZ gesehen wird, in der die Streitenden Tänzer sind und das Ziel in einer ausgewogenen und ästhetisch gelungenen Vorführung besteht. In einer solchen Kultur würden die Menschen Auseinandersetzungen anders sehen, anders erfahren, anders führen und anders über sie reden" (Lakoff & Johnson zit.ebd.)

Konzeptuelle Metaphern stellen einen "fokus imaginarius" dar, der "den Verstand zu einem gewissen Ziel richten" soll (Kant KrV,B,672). Dieser Fokus ist eigentlich ein Un-Ort, er läßt sich nicht bestimmen, nicht ausmessen. In den Metaphern der LIEBE z.B. definiert keine einzelne, was Liebe >ist<. Deshalb spricht Buchholz von einem "leeren Konzept"13. Die Imagination greift auf verschiedene sinnlich-anschauliche, bildgebende Bereiche zurück 14. Konkret:

"LIEBE IST MACHT: Liebe ist stärker als der Tod; sie haut mich um; eine Sexbombe; wir wurden zueinander hingezogen; »ein jeder kennt die Lieb' auf Erden, ein jeder muß ihr Sklave werden« (aus Tschaikowskys Oper Eugen Onegin).
LUST IST EIN TIER: Er ist ein Wolf (Jack Nicholson); sie ist im Bett eine Tigerin; Du weckst das Tier in mir; ich bin ganz wild auf ihn/sie.
LIEBE IST HITZE: Sie ist ein heißes Gerät; sie ist eine heiße Mutter; ich erwärmte mich für ihn; er wurde von Sehnsucht verzehrt; sie ist eine alte Flamme; sie ist frigide; sei nicht so kalt zu mir; er brannte vor Begierde; er ist ganz heiß auf Dich; sie schmolz hin.
LIEBE IST EIN SPIEL: Mal seh'n, ob ich heute bei ihr zum Zuge komme; ein Wort gab das andere; Liebesspiele, Vorspiele; ich hab 'nen netten Mann abgekriegt.
VERLIEBTE SIND EINE MASCHINE: Du turnst mich an; ich gab Gas; mein Motor läuft, Baby; es sprangen elektrische Funken über; er konnte seine Gefühle nicht abschalten.
LIEBE IST KRIEG: Er ist bekannt für seine Eroberungen; sie becircte ihn; er floh vor ihren Avancen; sie ergab sich ihm; so wie Du aussiehst, kannst Du alle Männer (Frauen) kriegen.
SEXUALITÄT IST EINE PHYSISCHE KRAFT: Er hatte eine Menge Anziehungskraft; die Männer fliegen auf sie; wenn sie erwachsen ist, wird ihre Schönheit alle umhauen; ihm konnte keine Frau widerstehen; Triebtäter; er hatte einen starken Trieb; wir hatten beide vibrations. LIEBE IST GEISTESKRANKHEIT: Hans ist in Lisa wahnsinnig verknallt; sie ist verrückt nach ihm; er ist sexbesessen..." (556)

Jede Metapher besteht aus einem bildempfangenden und einem bildgebenden Bereich, verbunden durch ein Gleichheitszeichen - z.B. LIEBE = KRIEG , aber dies ist sie doch nicht allein, sie ist z.B. auch SPIEL; wir sehen beides zugleich, sie ist KRIEG und ist es nicht, der Satz vom ausgeschlossenen Dritten gilt hier nicht 15 - tertium datur. "Das entspricht genau den von Freud beschriebenen Eigenschaften des Primärptozesses" (557).

Buchholz wendet sich nun einem kasuistischen Beispiel zu, das wir hier vollständig zitieren :

"Eine studentische Patientin hat sich ein gebrauchtes Moped gekauft, an dem sie mit ihrem Freund zusammen gebastelt hat. Es funktioniert. In der Nacht träumt sie einen Traum, den sie mir als ihren ersten Analysetraum in die 22. Stunde mitbringt: Sie ist zusammen mit dem Freund auf dem Moped in einen nahe gelegenen Ort gefahren. Sie haben das Moped an einer Ecke angeschlossen stehenlassen, um etwas zu besichtigen. Als sie zurückkommen, müssen sie feststellen, daß jemand das Hinterrad abmontiert und gestohlen hatte. Die Patientin erzählt diesen ihren erstenTraum, fügt an, wie merkwürdig das alles sei, das Moped habe doch am Tag zuvor funktioniert. Sie redet noch dies und jenes und fragt dann: "Können Sie nicht 'mal was dazu sagen?"
Ich schweige kurz, dann entfährt es mir: »Jetzt wollen Sie von mir 'n Rat/d.« Erst als ich gesprochen habe, höre ich, was ich da doppeldeutlich sage. Sie hat schon begriffen, lacht, fragt, »mit T oder mit D ?«, und gesteht mir dann, daß sie am Abend, als sie mit Reparieren fertig war, noch als Aushilfe in ihrer Kneipe gearbeitet hat und weil der Besitzer so ein Ausbeuter sei, habe sie bei ihm einen Leuchter im Wert von ca.30,-Mark mitgehen lassen. Wir verstehen dann, daß der von mir gewünschte Rat eine Gewissensentlastung sein soll, wir reden kurz über ihre eigenen elsterhaften Neigungen und darüber, daß sie denkt, ich wüßte schon immer alles über ihr Unbewußtes und gäbe es bloß nicht her. Sie ist eine Diebin, ich bin ein Ausbeuter und insofern auch ein Dieb." (557)

Wir finden hier im unfreiwilligen Wortspiel vom Rad / t die Verschiebung des fokus imaginarius vom visuellen Traumbild zum akustisch vieldeutigen Wort 16. Obgleich dieser Auszug einer vielfältigen Auslegung fähig wäre, nur eine Bemerkung: Therapie ist hier das ‘leere Konzept’, bzw. der bildempfangende Bereich und die Patientin arbeitet mit einer Metapher, die wir THERAPIE IST DIEBSTAHL nennen könnten. Als Konzept organisiert sie das Erleben der Patientin in der Übertragung als auch Buchholz’ Deutunglinien.

"Beide Beteiligten des analytischen Dialogs konfrontieren ihre Sichten miteinander. So wird es möglich, den (...) Dialog nicht nur als Austausch von Worten, sondern als Begegnung der Bilder aufzufassen. Er findet in dem von der konzeptuellen Metapher erzeugten Übergangsraum statt" 17 (559)

Metapher heißt wörtlich "Übertragung" - wie umgekehrt die analytische Übertragung eine Metapher ist und deren Doppeldeutigkeit erfüllt.

So wie die Liebe Krieg und Nicht-Krieg ist, "ist auch die Liebe zum Analytiker Übertragung und Nicht-Übertragung zugleich. Eine Übertragung, die nicht als wirklich erfahren würde, wäre keine Übertragung (sondern deren Abwehr), und eine Analyse, in der die Liebe als wirklich genommen würde, wäre keine Analyse (sndern deren Abwehr). Die Analyse operiert im Übertragungsraum zwischen solchen koventionellen Unterscheidungen, wie es die von ‘wirklich’ und ‘nicht-wirklich’ sind." (560)

Natürlich wandeln sich die Metaphern im therapeutischen Prozeß. So ist es im o.g. Beispiel vielleicht zeitweilig notwendig, daß in der Therapie gestohlen wird, später entsteht eventuell eine Komplizenschaft. Beide Metaphern bleiben dann noch im gemeinsamen Bedeutungshof "krimineller Aktivitäten". Wie erwähnt, >stellen< konzeptuelle Metaphern nicht >fest<, sondern eröffnen eine Perspektive, >eine Sicht auf...<. Letzteres nennt Buchholz Kontext oder frame (Rahmen).

"Jede Metapher erzeugt eine frame, eine Sichtweise, und diese ist unvermeidlich immer (...) einseitig (...) wirft ein bestimmtes Licht, und das heißt, daß anderes verdunkelt wird. Das aber wird zur therapeutischen Hoffnung. Denn wenn ein Patient sich selbst z.B. immer ein einer Metapher konzeptualisiert, etwa (...) ICH BIN DER GRÖSSTE, oder ICH BIN EIN OPFER, oder ICH BIN EIN VERSAGER, dann haben wir die (...) Chance eines therapeutischen Eingriffs, weil wir versuchen können, einen Metaphernwechsel zu installieren. Nicht Mangel an begrifflichen Denken, sondern Fixierung auf ein und nur ein Bild zeichnet neurotische Störungen aus". (ebd.)

Das Verhältnis von Äußerungen im Gespräch und Kontext (frame) kann man sich so vorstellen:
Äußerungen erzeugen Rahmungen, die ihrerseits determineren, was gesprochen und was nicht gesprochen werden darf.

"Ein Patient sagt, er müsse zugeben, diese oder jene Gedanken zu haben. Diese Metapher erzeugt beinahe zwingend die Vorstellung, er befinde sich bei einem Staatsanwalt (...). Solange dieser innere Kontext verpflichtend ist, können nue bestimmte Äußerungen gemacht werden. Ein solcher Patient würde nicht sagen: Der Dialog ist ein ‘Austausch von Worten’; er würde vielmehr sagen: DER DIALOG IST EIN VERHÖR. (...) Ein anderer Patient (...): ‘Das letzte Mal sind wir stehengeblieben bei ... und heute würde ich gerne weitermachen mit...’. Er würde vielleicht sagen: PSYCHOTHERAPIE IST UNTERRICHT" (561).

Stellen wir uns einmal vor, was die Folge der Begegnung von THERAPIE IST DIEBSTAHL (Patientin s.o.) und THERAPIE IST DETEKTIVARBEIT (Therapeut/in) sein könnte?

Es sollte in diesem Referat deutlich werden, daß Metaphern im psychotherapeutischen Dialog nicht das Problem, sondern eher die Lösung sind.

Dazu bedarf es aber auch eines feinen Gehörs, um die frames reflektieren zu können. Metaphern können auch verführen und ablenken. Sie stellen dar, verstellen jedoch auch. Immer wieder müssen wir prüfen, ob sich die in uns evozierten Vorstellungen mit denen des Gegenüber auch decken. Nehmen wir die Bedeutung des metaphorischen "Denkens" ernst, erwachsen uns so nicht nur Vorteile - z.B. der größeren Lebensnähe - es stellen sich auch Aufgaben: wir müssen stärker in die lebensweltlichen frames eintauchen , die eventuell nicht die unsrigen sind. Wir können und müssen aber auch Metaphern kreieren, eine neue Sicht auf... eröffnen. Gelegentlich geschieht das konfrontativ - z.B. ernüchtern wir in einer kühlen Deskription die selbstidealisierenden Geschichten 18 eines Narzißten - häufiger steigen wir in die Metaphern der Patienten ein und geben ihnen eine innovative Wendung.
Sicherlich gibt es den von Buchholz beschriebenen Kairos - den schweigenden Augenblick der Übereinstimmung, viel häufiger befinden wir uns jedoch in einem Prozeß unendlicher Annäherung


Anmerkungen

1 Buchholz führt hier (548) die Haupttheoretiker seiner Überlegungen ein: Lakoff & Johnson, Metaphors We Live By, Chicago 1980. Diese haben die Metapher aus dem philosophisch-literaturwiss. Bereich in den einer kognitiven Linguistik überführt. Metaphern sind nicht allein auf Texte, sondern auf sprachvermittelte Konstitutionsleistungen des Bewußtseins (Kognitionen) bezogen.

2 Die Fallgeschichte, die Buchholz als Beispiel einer Arbeit mit manifesten Metaphern schildert, werden wir hier nicht erörtern. Sie ist dem Anhang 1des Referats beigefügt.

3 Ein jüdischer Betrachter kannte vielleicht diese Übersetzung, teilte sie - in ihrem Wahrheitsanspruch - aber natürlich nicht.

4 Eine eingehende Erörterung dieses Problems findet sich bei M.Brumlik, 1993.

5 Buchholz einführende Bemerkungen zu Lorenzer sind recht knapp, deshalb skizzieren wir sie kurz selbst.

6 Die Debatte um das Verhältnis von Denken und Sprache füllt Bibliotheken. Die Gegenthese zur o.g. Konzeption findet sich z.B. in den Forschungen von Sapir und Worf, die aber zu einem Sprachrelativismus führten und von Untersuchungen zu kognitiven und sprachlichen Universalien abgelöst wurden (vgl. Holenstein).

7 Unserer Meinung nach ändert sich an dieser Fragwürdigkeit nichts Wesentliches, wenn wir in der Folge des "linguistic turn" nicht von Worten, sondern von Propositionen (S ist p) ausgehen. Beide unterstellen eine "vollständige Ausdrückbarkeit" (Searle) / Versprachlichung des vermeinten Sachverhalts. Die ganze strukturalistische Diskussion in der Nachfolge von Saussure - Verhältnisbestimmung von Signifikat und Signifikanten - lassen wir unbeachtet, da sie in Buchholz’ Text keine Rolle spielt.

8 Nur beim Symbol (annäherungsweise auch im Lorenzer’schen Sinne) liegt eine "Über-setzung" vor, während bei der Metapher jeder Übersetzungsversuch zu Informationsverlusten auf beiden Seiten führt.

9 Zum Zeitpunkt der Abfassung des Referats lagen uns nur ein Teil der Arbeiten Buchholz’ vor; auf die Originalliteratur von Lakoff & Johnson konnten wir leider auch nicht zurückgreifen.

10 Bewußtsein meint hier nicht bewußt im psychoanalytischen Sinne. In der Fn.7 (552) verweist Buchholz auf einen weiten Kognitionsbegriff, der auch "unconscious images" einschließt.

11 vgl. Fn.8

12 Konzeptuelle Metaphern werden in GROSSBUCHSTABEN dargestellt.

13 Leer meint in diesem Zusammenhang unbestimmt, offen für Einträge.

14 Metaphern sind keine Aussagen, die per se richtig oder falsch sein können und sich deshalb gegenseitig ausschließen. Wenn Metaphern keine wahrheitsfähigen Propositionen sind, so erheben sie vielleicht dennoch einen Geltungsanspruch: zwar nicht den, wahr oder falsch, aber den, angemessen oder unangemessen zu sein, also einen ästhetischen (vgl. Habermas)

15 Buchholz scheint einen kontrdiktorischen Widerspruch zu suggerieren, die perspektivische Verfaßtheit der Metapher arbeitet aber eher mit Hinsichtunterschieden, dh. Widersprüchen, die auf verschiedenen Sichtweisen beruhen.

16 An dieser Vignette zeigt sich auch die Bedeutung der manifesten Traumbilder bzw. ihrer Erzählung. Die ganze bisherige Diskussion könnten wir auch auf das Verhältnis des manifesten Traums mit seiner metaphorischen Verweisungstruktur zu den latenten Traumgedanken anwenden. Auch hier gibt es die fragwürdige Tendenz zu einer eindeutigen Übersetzung (vgl. Ken Frieden, 1990 )

17 Buchholz stellt hier die These in Frage, ob der Übergangsraum immer einer frühen, archaischen Entwicklungsstufe zuzuordnen ist.

18 Metaphern erweitern sich häufig zu Geschichten, narrativen Strukturen. So können wir davon sprechen, selbstinterpretierend sind wir in "Geschichten verstrickt" (Schapp).

Anhang

Ein Beispiel: Flasche und Korken

"Mario ist ein 21 jähriger junger Mann, der mich wegen seiner Unfähigkeit, mit Frauen zu schlafen, aufsucht. Er leidet an einer Erektionsschwäche, die dann eintritt, wenn er in die Frau einzudringen versucht. Er sieht sehr gut aus, und ich glaubte ihm sofort, als er sagte, er brauche nur in eine Disco zu gehen und könne "abschleppen", wen er wolle. Er intellektualisiert sehr stark, spricht "geschliffen", und als ich diese Metapher fand, fiel mir immer mehr die Schärfe seines Sprechens auf. Deshalb wunderte ich mich nicht, als er von seinem ersten Traum berichtete: Er habe einer Frau das Gesicht zerschnitten. In der Deutung dieses Traums habe ich vor allem auf die Verbindung zwischen der Schärfe seiner Worte und dieser metaphorischen Traumdarstellang abgehoben und gewann den Eindruck, ihn damit gut erreicht zu haben. Viele Stunden später kommt er und sagt, er habe sich viele Themen überlegt die er mit mir besprechen wollte, aber jetzt sei er da und es sei so, als wäre ein Korken auf der Flasche.

Zunächst fasse ich diese Metapher als endopsychische Darstellung seiner Affektisolierung und der Verdrängung auf, dann aber auch als metaphorische Darstellung seiner Potenzstörung. Ich sage zu ihm, es sei ja nun möglich, so zu verfahren, daß er sich einfach anstrengt, in der Hoffnung, daß ihm die entfallenen Themen wieder einfallen mögen. Aber wir könnten statt dessen ja auch zu verstehen suchen, was es mit dem Korken und der Flasche auf sich habe, z.B. sei ja denkbar, daß in dem Augenblick, als er hier hereingekommen, ihn etwas beschäftigt habe, was die anderen Themen in den Hintergrund habe treten lassen. Jaja, unterbricht er mich ungeduldig, es falle ihm jetzt wieder ein. Er verliebe sich immer in Prauen, die sich zu ihm nicht hingezogen fühlten. Und darüber habe er gestern mit seinem Freund Alf gesprochen. Ich weiß bereits, daß Alf ein schwuler junger Mann ist, der sich in Mario verliebt hat und, so empfindet es Mario, sehr unterwürfig um ihn wirbt. Mario kann den Hundebliclc von Alf nicht ausstehen. Und gestern sei es so gewesen, daß Mario sich für Alfs Themen zur Verfügung gestellt habe, er habe alles, was Alf sagte, in sich aufgenommen und kaum etwas von sich erzählt. Ich sage an dieser Stelle zu Mario, er sei wohl so eine Art Gefäß gewesen, und Alf habe keinen Korken auf der Flasche gehabt. Genau so habe er sich empfunden, antwortet er. Aber irgendwie habe er sich nach dem Gespräch mit Alf, nein: nicht leer, sondern »wund« gefühlt. Er wählt eine neue Metapher für die Darstellung seines Gefühls. Es ist nur ein Wort, das aber eigentlich ein ganzes Szenario enthält. Die Metapher vom »wunden« Gefühl deutet ein Szenario an.
Ich sage zu Mario: »Hm, das kann ich verstehen. Aber wie paßt dies Gefühl, >wund< zu sein, zu dem Gefäß und der Flasche?« Er merkt auf: »Ja, das paßt ja tatsächlich nicht.« Dann fährt er fort: Als er gestern mit Alf sprach, habe er sich überlegt: Wenn es den Frauen, in die er sich verliebt, so gehe wie ihm, in den sich Alf verliebt hat, dann hätte die Liebe heutzutage keine guten Chancen. Verliebtheit mache abhängig, und vielleicht habe er so einen Hundeblick wie Alf, und die Frauen ihrerseits könnten dann ja nur verächtlich reagieren.
Ich formuliere jetzt meine Deutung und sage: »Sie stellen sich vor, daß die Frauen, in die Sie sich verlieben, Ihre Zuneigung nicht erwidern, also unerregt und körperlich trocken bleiben. Dann würden, wenn der Sekt aus der Flasche perlen wolle, die Frauen wund. Und Sie stellen sich das vor, weil Sie Ihrerseits sich so bemühen, emotional trocken zu bleiben wenn jemand sich in Sie verliebt, und sei es auch Alf.« Er schweigt und sagt dann, er denke an eine ziemlich miese Geschichte: Marlene war eine Frau, mit der er entkleidet und zärtlich eines Nachts auf seinem Bett lag. Ihr letzter Bus ging um 24 Uhr. Er sei erregt gewesen, und sie auch. Es kam aber nicht zur körperlichen Liebe, denn als es nach Mitternacht wurde, habe er plötzlich erklärt, er sei jetzt müde, sie solle gehen. Komisch, die Geschichte habe er vor Augen, als sei sie gestern passiert, fügt er leicht höhnisch an. Ich sage hier, er schaffe es wohl im Moment nicht, emotional trocken zu bleiben. Nein, antwortet er. Aber verurteilt habe er sich deswegen schon lang genug selbst. Ich antworte ihm, vielleicht wolle er mir damit sagen, daß ich ihn jetzt nicht auch noch verurteilen solle. Ich würde aber verstehen, daß er sich schämt. Es treten ihm Tränen in die Augen, die wiederum mich bei diesem Superintellektualisierer zutiefst berühren, und bevor ich die Stunde beende, gibt er sich selbst eine Deutung: Es sei vielleicht die Scham darüber, wie schäbig er manchmal sei, von der er nicht wolle, daß sie aus der Flasche kommt.
Ich habe dieses ßeispiel gewählt, weil ich illustrieren wollte, wie sehr der psychoanalytische Dialog eine Arbeit an der Metapher ist, ein Austausch von Metaphern. Die Metapher von der Flasche und dem Korken organisiert das Material der gesamten Stunde." (550-551)

Literatur

Buchholz, M.B. (1993), Einleitung, in: Ders. (Hg.), Metaphernanalyse, Göttingen 1993a

Brumlik, M. (1993), C.G. Jung zur Einführung, Hannover

Carveth, D.L. (1993), Die Metaphern des Analytikers. Eine dekonstruktivistische Perspektive, in: Buchholz (1993a) S.15-71

Frieden, K. (1990), Freud’s Dream of Interpretation, New York

Gamm, G. (1992), Die Macht der Metapher. Im Labyrinth der modernen Welt, Stuttg.

Kurz,G. (1988), Metapher, Allegorie, Symbol, Göttingen

* Das Referat wurde im Rahmen der Weiterbildung an der Abteilung Psychotherapie/Psychosomatik (Chefarzt: Dr. med. E.Schiffer) des Christlichen Krankenhauses Quakenbrück e.V. im Frühjahr '99 vorgestellt.

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