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Marxismus und Psychoanalyse

Psychologie des Terrors:

Zum 90. Geburtstag von Ernst Federn, einem Pionier der kollektiv orientierten Psychoanalyse

Roland Kaufhold

 

WOCHENZEITUNG, WoZ, Schweiz, Do., 26. August 2004, S. 15

Ernst Federn, Pionier einer kollektiv orientierten Psychoanalyse, feiert seinen 90. Geburtstag. Die Grundlagen für sein bedeutendes, aber wenig beachtetes Werk schuf er im Konzentrationslager.

Sein Leben trägt die Signatur des 20. Jahrhunderts: Es führte von Wien über Dachau und Buchenwald nach Brüssel, dann in die USA und schliesslich wieder nach Wien. Ernst Federn, der diesen Donnerstag in Wien seinen 90. Geburtstag feiert, gilt als einer der führenden Historiker der Psychoanalyse sowie als Pionier der psychoanalytischen Pädagogik und einer Psychologie des Terrors. Federn versuchte, seine traumatischen Erfahrungen im Konzentrationslager auf psychoanalytischer Basis zu analysieren und zu verstehen.

Ernst Federn, der am 26. August 1914 in Wien geboren wurde, lernte die Psychoanalyse quasi am Mittagstisch kennen: Sein Grossvater war einer der bekanntesten Ärzte Wiens, sein Vater Paul Federn, Arzt und Psychoanalytiker der ersten Stunde, war von 1924 bis 1938 als enger Mitarbeiter Sigmund Freuds an der Entwicklung der jungen Wissenschaft Psychoanalyse beteiligt und setzte sich massgeblich für deren soziale und pädagogische Öffnung ein. Wie andere Interessierte, die sich um Freud geschart hatten, verstand er die Psychoanalyse nicht primär als eine Behandlungsmethode, sondern als eine kollektive Bewegung. Insbesondere junge, vom Reformgeist gespeiste linke AnalytikerInnen verkehrten regelmässig im Hause der Federns, das der ungarische Psychoanalytiker Ivan Hollos einmal treffend als «Pension zur aufgelassenen Ich-Grenze» bezeichnet hat.

Dabei hatte sich der junge Ernst Federn die Psychoanalyse nicht als Beruf vorgenommen. Er studierte in Wien Jura und Sozialwissenschaften mit dem Wunsch, sozialistischer Politiker zu werden. Schon bald engagierte er sich bei den ab 1934 verbotenen «Revolutionären Sozialisten», was mehrfache Inhaftierungen durch die politische Polizei und seinen Ausschluss von der Universität zur Folge hatte. Aus dieser Not heraus arbeitete er als Sekretär seines Vaters und beteiligte sich an der Bearbeitung des von diesem ab 1926 herausgegebenen «Psychoanalytischen Volksbuchs». Dieses Werk stellt einen ersten, interdisziplinären Versuch dar, psychoanalytische Erkenntnisse auch breiteren Bevölkerungskreisen zur Verfügung zu stellen.

Unmittelbar nach ihrer Machtübernahme 1938 verschleppten die österreichischen Nationalsozialisten Ernst Federn wegen seines antifaschistischen Kampfes sowie des ihm zugeschriebenen Judentums nach Dachau, dann nach Buchenwald. Dort freundete er sich mit dem 1990 verstorbenen Kinderpsychologen Bruno Bettelheim an. Sie versuchten zu überleben, indem sie die terroristische Realität zu begreifen versuchten. In nächtlichen Gesprächen entwarfen sie die Grundlagen einer Psychologie des Terrors. Bettelheim, mit dem Federn eine lebenslange Freundschaft verband, hatte mehr Glück als Federn: Nach elf Monaten wurde er mit der Auflage freigelassen, unverzüglich zu emigrieren. Bettelheim ging nach New York, wohin auch Federns Eltern geflohen waren, und wurde - neben Ernst Federn, Rudolf Ekstein, Anna Freud und Fritz Redl, um nur die bekanntesten WienerInnen zu nennen - ein Pionier der Milieutherapie. Er arbeitete mit psychisch kranken Kindern, deren Leiden er auf psychodynamischer Basis zu verstehen versuchte und denen er ein ideales Lebensumfeld anbieten wollte.

Federn hingegen wurde sieben Jahre lang in Buchenwald festgehalten - und resignierte doch nicht. Seine psychoanalytisch gewonnenen Erkenntnisse zeigten ihm, dass er sich dem Terror zwar weitgehend anpassen, aber innerlich Reste von Autonomie erhalten musste. Er wurde auch von Vertretern der so genannten Häftlingsselbstverwaltung drangsaliert. Die Stalinisten duldeten abweichende Standpunkte, wie sie Federn vertrat, nicht. «Als Begründer der österreichischen Sektion der Vierten Internationale wurde ich im Lager von den Stalinisten isoliert», schreibt Federn Jahrzehnte später über diese Zeit. «Mit einem Trotzkisten zu reden, war verboten. Es gab allerdings einen berühmten kommunistischen Gefangenen, der im Lager unerhörte Dinge durchgestanden hatte. Mit dem habe ich sehr viel über Psychoanalyse gesprochen. Er liess es sich nicht verbieten, mit mir zu sprechen. Da er grossen Einfluss auf die anderen hatte, bekam ich den Ruf des Psychoanalytikers im Lager. Man konnte nun doch mit mir sprechen, die Leute konnten mit mir über sich und ihre Probleme reden.» Sein Optimismus war für viele Mitgefangene eine grosse Ermutigung: «Du warst verrückt im Lager, mit deinem Optimismus! Aber es war gut, dir zuzuhören», berichtete ihm ein Freund später.

Im April 1945 wurde Federn durch US-amerikanische Truppen befreit. Eine Rückkehr nach Österreich, das von den Russen besetzt war, erschien dem Trotzkisten als zu gefährlich - eine realistische Einschätzung: Sein Freund Karl Fischer beispielsweise wurde vom sowjetischen Geheimdienst entführt und nach Sibirien verschleppt. Federn war innerlich ungebrochen geblieben. Noch im Lager, am 20. April 1945, veröffentlichte er mit drei anderen Häftlingen die «Erklärung der internationalistischen Kommunisten Buchenwalds», in der sie sich gegen den Stalinismus wandten und für eine österreichische Räterepublik eintraten. Federn ging nach Brüssel, wo er sein politisches Engagement fortsetzte. Er arbeitete unter anderem mit dem marxistischen Ökonomen Ernest Mandel zusammen. Zugleich gelang es ihm endlich, wieder in Kontakt mit seiner Verlobten Hilde Paar zu kommen, die in Wien sieben Jahre lang auf ihn gewartet und ihn durch regelmässige, lebensrettende Geldsendungen unterstützt hatte.

Federn hatte grosse Pläne: Er plante ein Buch zum Verhältnis von Psychoanalyse und Marxismus. Vor allem jedoch arbeitete er, auf der Grundlage der freudschen Erkenntnisse über das menschliche Seelenleben, an einer «Psychologie des Terrors». Bereits 1946 veröffentlichte er seine wohl bedeutsamste Studie, den «Versuch einer Psychologie des Terrors», in der er seine fürchterlichen Erfahrungen verarbeitete. Er zeigte auf, wie im Konzentrationslager der individuelle menschliche Sadismus durch ein perfides System gezielt zum Zweck der grausamen, kollektiven Zerstörung instrumentalisiert worden war. Die Etablierung eines kriminellen Über-Ichs förderte die sadistischen Triebe der Einzelnen: «Mit der SS-Uniform wurde der Verbrecher zum Ehrenmann, wurden seine Schandtaten zum Dienst am Volk. Ausserdem wurden alle Opfer des SS-Terrors als verworfene Banditen bezeichnet und so die Massnahmen gegen sie gerechtfertigt.» Federn beschönigt in der Studie nichts, klagt nicht an, sondern analysiert die erlebte Vergangenheit frei von moralisierendem Unterton.

Die Zeitumstände waren nicht günstig für solche Analysen. Federn, der noch vor Hannah Arendt die «Banalität des Bösen» beschrieben hatte, vermochte seine Studie nur in einer kleinen belgischen Zeitschrift zu veröffentlichen. Anfang 1948 emigrierte er gemeinsam mit seiner Ehefrau Hilde nach New York. In der antikommunistischen McCarthy-Ära bestand keinerlei Interesse an seinen Terrorstudien. Sie gingen vergessen. Erst 1999 erschienen sie unter dem Titel «Versuche zur Psychologie des Terrors».

Die Freude des Wiedersehens mit den Eltern in New York währte nicht lange: Federns Mutter verstarb 1949, sein Vater 1950. Er vermachte seinem Sohn, der sich zum psychoanalytischen Sozialtherapeuten ausbilden liess, jedoch ein wichtiges Erbe: die umfangreichen Protokolle von Freuds «Psychoanalytischer Mittwoch-Gesellschaft». Gemeinsam mit dem ebenfalls aus Wien in die USA emigrierten Psychoanalytiker Hermann Nunberg edierte er diese Protokolle in den sechziger und siebziger Jahren. Sie wurden zu einem Grundlagenwerk für die Geschichte der Psychoanalyse.

Der österreichische Bundeskanzler Bruno Kreisky, der mit Federn seit dessen Engagement in den dreissiger Jahren im Wiener Untergrund befreundet war, holte ihn 1972 aus den USA nach Wien zurück. Seitdem arbeitet Federn als Psychotherapeut und Supervisor an einer Reform des österreichischen Strafvollzugs. Waren noch Anfang der siebziger Jahre persönliche Gespräche zwischen Gefangenen und dem Gefängnispersonal untersagt, so bilden nun therapeutisch orientierte Gespräche mit den Häftlingen einen selbstverständlichen Teil der Resozialisierungsbemühungen. Die Verarbeitung seiner eigenen Terrorerfahrungen war Federn eine Hilfe, sich in die Motive gewaltsamen Verhaltens einzufühlen.

 


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