Wo ist die psychoanalytisch-pädagogische
Bewegung?
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Besprechung von: Roland
Kaufhold: Bettelheim, Ekstein, Federn: Impulse für die
psychoanalytisch-pädagogische Bewegung.Gießen (Psychosozial-Verlag)
2001, 313 Seiten, 25.90 Euro.
Roland Kaufhold beginnt mit
dem Satz: "Mit diesem Buch möchte ich Lücken im Gedächtnis der
Psychoanalytischen Pädagogik schließen."
In der Tat wird von Vertretern dieser methodischen Verbindung von
Psychoanalyse und Pädagogik immer wieder darauf verwiesen, dass die
theoretischen wie praktischen Anfänge dazu in den 20er und 30er Jahren
des letzten Jahrhunderts lagen, ohne dass allerdings in der Regel
explizit von diesem Wissen Gebrauch gemacht wird.
Kaufhold hat in den letzten Jahren bereits erstaunlich viel historische
Aufklärungsarbeit geleistet. Maud Mannoni, Bruno Bettelheim, Rudolf
Ekstein und Ernst Federn waren schon immer Persönlichkeiten aus der pädagogischen
und therapeutischen Arbeit mit schwierigen und auch behinderten Kindern,
mit denen er sich ebenso intensiv wie unermüdlich auseinandergesetzt
hat.
In dem nun vorliegenden Band bündelt Kaufhold seine Forschungsarbeiten
zu den drei Letztgenannten auf beeindruckend übersichtlich
strukturierte Weise. Zunächst stellt er uns, beginnend mit Federn und
bei Bettelheim endend, die einzelne Biographie vor, leitet über zu den
beruflichen Stationen und kommt dann auf das jeweilige wissenschaftliche
Wirken zu sprechen.
Man muß wissen, dass die Tradition der Psychoanalytischen Pädagogik,
wie der Psychoanalyse überhaupt, durch die Ära des Nationalsozialismus
eine schreckliche Zäsur erlitt. Die meisten Vertreter dieser Richtung
mussten fliehen, in der Regel in die USA, nicht alle von ihnen kehrten
zurück.
Alle drei hier vorgestellten Männer waren als österreichische Juden,
Psychoanalytiker und politische Gegner der Faschisten Opfer dieser Willkürherrschaft.
Ihre Biographien legen beredt Zeugnis ab von ihrem persönlichen
Schicksal wie ihrem eng damit verbundenen beruflichen Wirken.
Dies gilt in besonderem Maße für Bruno Bettelheim, dessen
milieutherapeutische Bemühungen um schwer gestörte, insbesondere
autistische Kinder unzweifelhaft ohne seine annähernd ein Jahr
andauernden Lagererfahrungen in Dachau und Buchenwald nicht verstehbar wären.
Aber auch Federn und Ekstein haben sich den `schwierigen Kindern´ - in
den Worten Eksteins "Grenzfallkindern" - zugewandt und damit
zu praktischen Fragen einer Allgemeinen Pädagogik eine Brücke
geschlagen.
Das vorliegende Buch bringt uns die Persönlichkeit dieser Männer näher
und führt uns auf einfühlsame Art in ihre wissenschaftlichen Gedankengänge
ein. Man spürt, dass der Autor, der Federn und Ekstein selbst kennen
lernen durfte, viel Mühe auf seine Arbeit verwandt hat; sein Herzblut hängt
daran.
Dieses Buch kann ich jedem empfehlen, der sich für die pädagogische
Arbeit mit traumatisierten und behinderten Menschen interessiert.
Prof. Dr.
Manfred Gerspach
Geleitwort
von Prof. Ernst Federn (Wien)
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Dieses Buch widmet sich, wie schon frühere Arbeiten Roland Kaufholds (1993, 1994, 1999), der Geschichte der Psychoanalytischen Pädagogik, insbesondere einiger ihrer Pioniere.
Historisch war die Psychoanalytische Pädagogik das erste Anwendungsgebiet der Psychoanalyse. 1908 hielt Sandor Ferenczi darüber einen Vortrag auf dem ersten Kongreß der Internationalen Psychoanalytischen Vereinigung in Salzburg.
Die Anwendung Freudscher Entdeckungen auf die Behandlung und Erziehung von Kindern wurde im Laufe der Zeit ausgedehnt auf die Heimerziehung, zuerst durch Siegfried Bernfeld und Willi Hoffer, 1925 auch auf die Betreuung und Behandlung von verwahrlosten Jugendlichen durch August Aichhorn.
1926 brachten Heinrich Meng und Ernst Schneider, ein Arzt und ein Pädagoge, die ersten Nummern der „Zeitschrift für Psychoanalytische Pädagogik“ heraus.
In seinem Geleitwort zu August Aichhorns „Verwahrloste Jugend“ (1926) betont Sigmund Freud die Notwendigkeit, in der psychoanalytisch orientierten Erziehung andere Methoden zu verwenden als bei der Behandlung von Neurosen in der Analyse, besonders wenn es um ausagierende Jugendliche geht.
Im Laufe der Zeit entwickelte sich aus der ersten Anwendung der Psychoanalyse, zwischen den beiden Weltkriegen, die weitere Fruchtbarmachung psychoanalytischer Erkenntnisse für die Analyse der Probleme der Gesellschaft.
In Kaufholds Buch
wird Bernfelds Bedeutung vor allem aus historischer Perspektive betrachtet. Der Autor arbeitet sehr sorgfältig und verständnistief Bernfelds Einfluß auf Rudolf Eksteins sowie auf mein eigenes Denken heraus.
Im zweiten Kapitel werden Geschichte und Praxis der psychoanalytischen Pädagogik analysiert, von den Anfängen zu Beginn diesen Jahrhunderts bis hin zur Gegenwart. Es folgt eine Darstellung der Biographie und des Werkes von Ernst Federn, die vor allem auf dem Inhalt seiner letzten vier publizierten Studien beruht.
Biographie und Analyse des Werkes von Rudolf Ekstein gehen auf die Beiträge dieses Psychoanalytikers zur Behandlung schwerst gestörter Jugendlicher ein und seiner Versuche, die Ideen der psychoanalytischen Pädagogik in den Vereinigten Staaten wirksam werden zu lassen. Ein Versuch, der bisher nur wenig Erfolg hatte. Ekstein beruft sich, wie der Autor herausarbeitet, auf die Arbeiten Siegfried Bernfelds sowie Paul Federns, dessen „Psychologie der Revolution“ (1919) er ins Englische übersetzt und in den USA publiziert hat.(
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Die Aufarbeitung von Eksteins umfangreichem Gesamtwerk führt direkt zu dem Werk von Bruno Bettelheim, einem Pionier der Milieutherapie als einzig möglicher Behandlungsform geisteskranker Kinder und Jugendlicher.
Die Milieutherapie, so wie sie Bettelheim bereits ab den 40er Jahren in der Sonia Shankman Orthogenic School in Chicago schrittweise entwickelte, ist eine direkte Anwendung der Psychoanalyse auf gesellschaftliche Verhältnisse.
Ihre grundlegende Bedeutung zum Verständnis von gesellschaftlichen Entwicklungen und Schwierigkeiten hat Freud stets betont und die Modifikation ihrer Methode für neurotische Patienten immer verlangt. Die vollständige Abwendung eines Kindes von seiner Umwelt bzw. von der Gesellschaft, die man Autismus nennt, ist im Grunde auch ein gesellschaftliches Problem. Die Ermöglichung einer Beschulung dieser seelisch gestörten Kinder – so wie sie Bettelheim und Ekstein in den USA in je eigener Weise ermöglicht haben - ist ein wichtiger Weg zu ihrer partiellen Sozialisation. Auch wenn diese Krankheit möglicherweise genetische Anteile haben mag, die man nicht heilen kann, so kann man doch helfen, mit ihr zu leben.
Roland Kaufhold schreibt einen Stil, den jeder gerne liest. Der Anwendung der Psychoanalyse auf die Gesellschaft, wie der Autor sie im Blick hat, kommt am Ende diesen Jahrhunderts eine immer größere Bedeutung zu.
Die neue Produktionsweise, in der die elektronische Techniken eine entscheidende Rolle spielen, verändert die sozialen Verhältnisse der Menschen. Wenn auch Europa und die Vereinigten Staaten vorerst an der Spitze dieser Entwicklung stehen, wird sie doch unaufhaltsam die ganze Welt erfassen. Die neuen Arbeits- und Lebensstrukturen überfordern bei weitem die Fähigkeit des durchschnittlichen Bürgers. Eine neue Spaltung der Gesellschaft in die Intellektuellen und Erfolgreichen auf der einen Seite und die durchschnittlich Begabten, die nicht mehr mitkommen und arbeitslos werden, auf der anderen Seite, in Gewinner und Verlierer, bedroht unser soziales System.
Psychoanalytisch gesehen versetzt die Vergesellschaftung des sozialen Lebens in dem Sinne, daß aller Erfolg in Geld ausgedrückt wird, die Menschheit auf die Stufe des zweijährigen Kindes; das aber ist zugleich die Stufe der Aggression. Glücklicherweise entwickeln Menschen immer wieder Gegenkräfte gegen Mechanismen der Herrschaft und ihrer Vertreter. Im Dienst dieser Gegenkräfte können Psychoanalyse sowie Psychoanalytischen Pädagogik eine wesentliche Rolle spielen. Die vorliegende Studie von Roland Kaufhold wird eine bedeutende Hilfe sein, sich in diesem Sinne zu orientieren, zu engagieren.
Ernst Federn, Wien
im Oktober 2000
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)
R. Ekstein (1971a): Reflections on
and translation of Paul Federn`s „The Fatherless Society“, Reiss-Davis
Clinic Bulletin, 8 (1), S. 2-33; s. auch: R. Ekstein (1972):
Introduction to the English Edition of „Society Without the Father“
by A. Mitscherlich, New York, Jason Aronson, S. XIII – XXIX.
Vorwort
von Dr. Michael Löffelholz / Prof. Peter Rödler
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"Der Holocaust war kein Bild an der Wand, sondern ein Fenster, durch das Dinge sichtbar wurden, die normalerweise unentdeckt bleiben. Und was zum Vorschein kam, geht nicht nur die Urheber, die Opfer und die Zeugen des Verbrechens etwas an, sondern ist von größter Bedeutung für alle, die heute leben und auch in Zukunft leben wollen. Der Blick durch dieses Fenster verstörte mich zutiefst, aber je bedrückter ich wurde, desto mehr wuchs in mir die Überzeugung, daß es äußerst gefährlich ist, ihn nicht zu tun."
Zygmunt Bauman
Als die Psychoanalytische Pädagogik in Deutschland vor etwa eineinhalb Jahrzehnten wieder zu erstarken begann, war sie zunächst überwiegend damit beschäftigt, neue Konzepte zu entwickeln, die dem mittlerweile erreichten Forschungsstand in Sozialwissenschaften, Psychoanalyse und Erziehungswissenschaft entsprachen.
Blicke zurück auf die eigene Geschichte wurden eher selten geworfen: im abgesteckten Rahmen spezifischer theoretischer oder praktischer Erkenntnisinteressen. Da die öffentliche und die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der Nazi-Vergangenheit und auch die Biographieforschung jedoch mittlerweile mit größerem Nachdruck betrieben wurden, konnte die Aufarbeitung der eigenen Geschichte innerhalb der Psychoanalytischen Pädagogik nicht lange weiter aufgeschoben werden. So kam es in den 90er Jahren im deutschsprachigen Raum zu einem Aufschwung historischer psychoanalytisch-pädagogischer Forschung mit einem umfassenderen Interesse. Dabei spielten die Arbeiten und Aktivitäten von Roland Kaufhold eine wesentliche anregende Rolle.
Seit gut einem Jahrzehnt arbeitet er unermüdlich daran, die Erinnerung an die schmerzliche Geschichte, an Vernichtung und Vertreibung der Psychoanalytischen Pädagogik wieder zu beleben, durch Gespräche mit den letzten noch lebenden Vertretern von deren zweiter Generation die abgerissenen Fäden wiederaufzunehmen und die ihr durch den Nazi-Terror geschlagenen Wunden zu heilen.
Kaufhold wurde zu einem der wichtigen Dokumentaristen der Geschichte der Psychoanalytischen Pädagogik in jüngster Zeit. Seinen Bemühungen liegt die Prämisse zugrunde, daß diese sich seit den 80er Jahren wieder etablierende Disziplin ohne eine Erinnerung ihres tragischen Werdegangs ihre Ressourcen nicht werde voll ausschöpfen können, denn es lasse sich zeigen, daß sie mehr als andere Wissenschaftszweige von der Zivilisationskatastrophe des 20. Jahrhunderts getroffen gewesen sei und dabei ihr historisch-gesellschaftliches Gedächtnis verloren habe.
Den Weg einer empathischen Geschichtsschreibung geht Kaufhold in dem nun vorliegenden Buch exemplarisch: am Beispiel des Lebens und Wirkens dreier Vertreter der zweiten Generation Psychoanalytischer Pädagogen.
Bettelheim, Ekstein und Federn repräsentieren in wohl einmaliger Weise die geschichtliche Kontinuität dieses Forschungs- und Praxisfeldes. Ihre Lebensspanne reicht über den Bruch der Auslöschung hinweg. Ihre geistige Wirksamkeit hob an mit der Teilnahme an der kulturkritischen Reformbewegung zu Beginn des Jahrhunderts in Wien, erfuhr die katastrophische Vernichtung und Vertreibung der Initiativen, arbeitete an der Bewältigung der Erfahrung durch das eigene Werk und an der Fortsetzung der frühen Aktivitäten unter Bedingungen einer demokratischen offenen, doch zugleich fremden pragmatischen Kultur in den USA und beteiligte sich schließlich an der Unterstützung neuer psychoanalytisch-pädagogischer Projekte im deutschsprachigen Raum nach Jahrzehnten der Stagnation.
Es galt daran zu erinnern, daß die Psychoanalytische Pädagogik in ihrem Ausgangspunkt Produkt des Leidens an der Zivilisation war, als soziale Bewegung der Kritik an ihr zustande kam und daß die Zivilisation auf ihren kritischen Einspruch mit Vernichtung reagierte.
Kaufhold weist auf diese historische Erfahrung doppelten Leidens in einer Situation, in der sich die Psychoanalytische Pädagogik wieder zu stabilisieren begonnen hat, als produktive Kraft hin und sucht damit die Tradition einer gesellschaftlich und politisch reflektierten und engagierten psychoanalytischen Pädagogik weiterzuführen. Als solche hatte sie nämlich, wie Kaufhold nachweist, nicht bloß am Rande der Entwicklung der Psychoanalyse in ihren prägenden Gründerjahren gestanden, sondern eine treibende Kraft in deren Zentrum gebildet und Freuds Wertschätzung erhalten.
Kaufhold macht ernst mit Adornos Forderung an die Pädagogik, vor allem anderen daran zu arbeiten, daß Auschwitz sich nicht wiederhole, und zeigt, daß die Lebenswerke von Bettelheim, Federn und Ekstein in ihren zentralen Motiven von Beginn an darauf gerichtet sind, diese Forderung zu erfüllen.
Michael Löffelholz (Hamburg) und Peter Rödler (Frankfurt am Main) im November 2000
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ROLAND KAUFHOLD
Bettelheim, Ekstein, Federn:
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Impulse für die
psychoanalytisch-pädagogische Bewegung
Ute Benz,
Berlin
Erschienen in:
KINDERANALYSE 3/2003, S. 292-294
In unserer deutschen
Gesellschaft wird im allgemeinen und im Bereich der Pädagogik im
besonderen auffällig wenig aus den reichhaltigen Quellen
psychoanalytischer Erkenntnisse geschöpft. Dabei wären sie so hilfreich
für alle mit Kindern befassten Erwachsenen, wenn es darum geht, kranke
ebenso wie gesunde Kinder in den vielfältigen Schwierigkeiten ihrer
Sozialisationsprozesse zu unterstützen, d.h. im Aufbau eines gesunden
Ichs, in der Lage, mit inneren Konflikten umzugehen, und in der
Fähigkeit, Beziehungen zu anderen Menschen befriedigend zu gestalten.
Warum werden die tiefen Quellen hierzulande nur so spärlich genutzt?
Auf den ersten Blick
könnte man meinen, das geringe Interesse an psychoanalytischen
Einsichten wäre lediglich eine Frage der Mode bzw. Ausdruck der ewigen
Hoffnung, wenigstens in der Zukunft und mit immer neueren Theorien,
Methoden oder Techniken endlich alles neu und besser zu machen als in
der Vergangenheit. Der zweite Blick freilich, sofern er die Gegenwart
als Ergebnis der Vergangenheit sieht, macht mehr Mühe. Er konfrontiert
uns nicht nur mit der allgemeinen Abwehr gegen die Aufklärung über
Unbewusstes, sondern er konfrontiert uns darüber hinaus mit den
spezifisch deutschen Einflüssen in der Rezeptionsgeschichte der
Psychoanalyse.
Nichts kann darüber
hinwegtäuschen, dass die Abneigungen gegen die Psychoanalyse hierzulande
keine Privatangelegenheit waren, sondern dass sie zur staatlich
institutionalisierten Verfolgung wurden, dass als undeutsch galt, was
als „jüdisch zersetzend“ und gefährlich für den deutschen Volkskörper
diskreditiert war. Was hat der schleichende Prozess der
Verächtlichmachung, der Entwertung der Psychoanalyse, die Unterbrechung
analytisch-pädagogischer Anwendungen, was haben die Berufsverbote, die
Verfolgung, Exilierung, die Ermordung jüdischer Psychoanalytiker für
Spuren hinterlassen im Denken der Verfolgten und der Nichtverfolgten?
Nach 1945 hörten die Entwertungen nicht automatisch auf. Ein schlichtes
Wiederanknüpfen an vorher war nur um den Preis der Verleugnung möglich
und die Brüche deshalb nachhaltiger als viele wahrhaben wollen.
Roland Kaufhold
leistet in seiner Studie einen wichtigen Brückenschlag. Indem er die
tiefen Brüche, die zerstörten Biographien sowie die Entwicklung ihres
Lebenswerkes von drei Vertretern der psychoanalytischen Pädagogik aus
Wien nachzeichnet – denen gemeinsam ist, dass sie Juden in Wien,
Antifaschisten, vom Nationalsozialismus verfolgt, im KZ und in den USA
im Exil waren und endlich doch die Wiederanknüpfung an
Deutschland/Österreich betrieben –, macht Kaufhold den Lesern klar,
warum sie nicht einfach über die Geschichte hinweg zur Tagesordnung der
praktischen Anwendung psychoanalytischer Erkenntnisse in der Pädagogik
übergehen können.
Kaufhold bietet einen
eindrucksvollen Weg an zur Auseinandersetzung mit der historischen
Dimension der Psychoanalyse in der NS-Zeit und im Exil, indem er Leben
und Werk von Bruno Bettelheim, Ernst Federn und Rudolf Ekstein
zitatenreich vorstellt. Für den Leser ergibt sich eine Fülle
interessanter Einsichten daraus, auch wenn dabei die Herangehensweisen
die Gefahren der Rollenvermischungen, und die Werkinterpretationen
methodische und emotionale Probleme aufwerfen. (...)
Die unaufhebbare
Distanz zwischen Opfern und Nichtopfern bleibt spürbar, und dies ist
durchaus ein Vorzug dieser Arbeit. Denn sie lässt sich tatsächlich nicht
durch die Illusion der Nichtverfolgten zum Verschwinden bringen, man
könne sich – als stünde man gleichsam neben ihnen – einfühlsam auf die
Seite der Opfer begeben, um dann über deren unterschiedliche
Traumatisierung zu reden. Seitenwechsel in bester identifikatorischer
Absicht haben zur negativen Folge, dass der Fokus der Aufmerksamkeit
einseitig gerät und dass die problematischere Seite – die Täterseite und
mit ihr die Seite des Aggressiven – ausgespart bleibt. Abgewehrt
erscheint sie zum Beispiel dort, wo Aggression, weit von Politik und
Geschichte entfernt, ins Abstrakte verschoben diskutiert wird, wo der
psychoanalytische Theoriediskurs über mythische Triebkräfte (Eros versus
Thanatos) Platz erhält anstelle der höchst irdischen historischen Fragen
nach den Formen der – im Prinzip nach psychoanalytischer Auffassung:
mörderischen – Aggressionen in alltäglichen Einstellungen und
Verhaltensweisen. (...)
Was Bettelheim in
seiner Person aushalten musste – Ausgrenzung, Verfolgung, die
Konzentrationslager Dachau und Buchenwald, Emigration und lebenslange
Auseinandersetzung mit Extremtraumatisierung durch den Holocaust und
seine Folgen – das ist die Basis seines persönlichen, wissenschaftlichen
und therapeutischen Interesses an menschlichen Konflikten, die Basis
seines leidenschaftlichen Interesses an pädagogischen Fragen ihrer
Verarbeitung von Kindesbeinen an.
Wenn wir in
Deutschland die historische Dimension der Psychoanalyse und der
psychoanalytischen Pädagogik respektieren, was könnte es für uns
bedeuten? Es würde uns helfen, unbewusste Widerstände gegen die
Psychoanalyse und ihre Anwendung in der psychoanalytischen Pädagogik zum
Nutzen von Kindern abzutragen. Was konkret positiv dabei herauskommen
kann, wenn auch im Leistungsbereich Schule die „basic needs“, die
emotionalen und psychologischen Bedürfnisse von Kindern in den
Anfangsjahren der Schule wie Bettelheim forderte berücksichtigt werden,
das zeigt das kreative, Gefühl und Verstand von Kindern gleichermaßen
ansprechende Leselernprojekt unter dem Stichwort "Die kleine weiße
Ente", das Bruno und Doris Mauthe-Schonig in Wort, Bild und mit
Handreichungen für Lehrer entwickelt haben.
siehe auch : Lesenlernen im
Anfangsunterricht der Grundschule mit der "Kleinen weißen Ente"
Oder: Bruno
Bettelheims Beitrag zu einer Psychologie des Lesenlernens
von Roland
Kaufhold
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bei:


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