Der Predigttext für den heutigen Sonntag
steht im 5.Buch Mose, im 7.Kap., Vers 6-12.
6: Denn ein heiliges Volk bist du
dem Herrn, deinem G"tte! Dich hat der Herr, dein G"tt,
für sich erwählt, daß du sein Eigentum seiest,
mehr als alle Völker , welche auf der Erde sind.
7: Nicht weil ihr zahlreicher als alle Völker seid,
hat der Herr sein Herz euch zugewandt; denn ihr seid
das kleinste unter allen Völkern;
8: sondern weil der Herr euch liebt und weil er den
Eid hält, den er euren Vätern geschworen, führte
der Herr euch mit starker Hand hinaus und befreite
dich aus der Sklavenheimat, aus der Hand des Pharaos,
des Königs von Ägypten.
9: So weißt du denn, daß der Herr, dein G"tt,
"G"tt" ist, der G"tt, dem man vertrauen
kann, der den Bund und die Liebe denen bewahrt, die
ihn lieben und die seine Gebote hüten, bis ins
tausendste Geschlecht.
10: Er bezahlt auch dem, der ihn haßt, aber in sein
Angesicht, ihn verloren gehen zu lassen! Er
verschiebt es nicht seinem Hasser, in sein Angesicht
bezahlt er ihm.
11: So hüte denn das Gebot, die Satzungen und
Rechtsordnungen, die ich dir gebiete, heute sie zu
erfüllen.
12. So wird geschehen: als Folge davon, daß ihr
diese Rechtsordnungen hört und sie achtsam erfüllet,
wird der Herr, dein G"tt, dir den Bund und die Liebe
wahren, die er deinen Vätern geschworen.
Liebe
Gemeinde!
Es ist
Urlaubszeit. Alle Welt verreist. Auch ich will sie
einladen, mit mir eine kleine Reise zu machen, eine
Phantasie- und Zeitreise viele Jahrhunderte zurück in
die Vergangenheit, ins alte Israel, wie es so um das Jahr
630 v.Chr. ausgesehen haben mag.
Dort in
Jerusalem, in der Davidgasse, nahe dem Tempelbezirk,
wohnt Fam. Salomon: Jehuda, der Schuster und seine kluge
Frau Schulamith. 5 Kinder haben sie, 3 Söhne Ruben,
der Älteste, Schimon und Benjamin, der jüngste der Söhne
und die beiden Töchter Schoschana und Lea. Lea
ist das Nesthäkchen, aber mehr noch liebt Jehuda
Schoschana, d.h. übersetzt "die Rose".
Die guten
Zeiten Israels sind schon lange vorbei, seit das mächtige
Assur Israel unter seine Gewalt gebracht hat. Doch jetzt,
da die syrischen Zwingherren noch höhere Abgaben und
Steuern einfordern, droht das jüdische Leben in der
Davidgasse und nicht nur dort ganz zu ersterben. Viele
Familien sind bereits fortgezogen, stattdessen fremde,
auch vornehme Leute eingezogen. Sie bringen neue Götter
und Kulte mit, beten die Schicksalsmächte des Himmels,
die Gestirne, und die Kräfte der Erde an. Eigentlich
sind diese Menschen Jehuda verhaßt. Aber wenn man überleben
will, muß man da nicht wohl oder übel mit ihnen
kooperieren, sich mit ihnen einlassen? Ruben, der Älteste,
hat bereits Überlebensschläue bewiesen. Bald wird er
eine wohlhabende assyrische Bürgerstochter heiraten. Und
so sehr Jehuda seinem Sohn auch alles Glück wünscht, so
schmerzt ihn doch der Gedanke, daß die ersten ersehnten
Enkelkinder nach dem Gesetz schon nicht mehr jüdisch
sein werden. Und Schoschana, seine Rose?
Versprochen
war sie ihrem Cousin Ephraim, doch die jüngste
Deportationswelle hat Ephraim und seine ganze Familie ins
ferne Assur verschlagen. So wird es wohl auch für
Schoschana besser sein, einen assyrischen Fremdling zu
heiraten.
Gestern
brachte Schulamith, Jehudas Frau, ein kleines
Bronzebildnis mit nach Hause, erworben für wenig Geld
auf dem tempelnahen Markt. Das Götzenbild stellt ein
Rossegespann dar, mit dem der assyrische Sonnengott des
Tags über den Himmel, des Nachts durch die Unterwelt fährt.
Zwar schalt Jehuda seine Frau deswegen, doch auch in
seinem Herzen ist da eine Stimme, die ihm zuflüstert:
"Mit dem G"tt Israels ist es wohl aus. Du willst es
dir nur noch nicht eingestehen, Jehuda, aber wo ist Er
denn, der G"tt deiner Väter, warum wirft Er deine Feinde
nicht machtvoll zu Boden? Halte dich an die neuen Herren
und ihre Götter, ihnen gehört die Zukunft. Sieh doch,
wie erfolgreich sie sind."
Immer
aufdringlicher wird diese Stimme, vor allem nachts, wenn
Jehuda nicht schlafen kann. Eines Morgens, eine dieser quälenden
Nächte liegt hinter ihm, geht Jehuda zum Marktplatz.
Dort hat sich viel Volk versammelt, um einem Mann zu
lauschen, der Neues predigt, nein eigentlich nicht Neues,
sondern Altes, aber fast schon Vergessenes. Der Prediger
spricht dem Volk die Worte zu, die wir eingangs gehört
haben. Auch Jehuda hört sie, sie schneiden ihm ins Herz.
Er macht auf dem Absatz kehrt und läuft so
schnell ihn seine selbstgemachten Schuhe tragen
nach Hause....
Liebe Gemeinde,
woraufhin wohl kehrt Jehuda um?
Ich denke,
weil die Predigtworte ihm schlagartig den Sinn seiner jüdischen
Existenz erhellt haben, weil er den Grundstein sieht, auf
dem G"tt das ganze Haus Israel errichtet hat:
"Ein
heiliges Volk bist du, Israel, deinem G"tt", das
meint: Ein Zeuge und Zeichen der Heiligkeit G"ttes selbst
bist du, Israel, in der Welt. Heißt es doch an anderer
Stelle: "Ihr sollt heilig sein, denn ich bin heilig,
der Herr, euer G"tt."
Und noch
etwas fiel Jehuda jetzt wieder ein, ein Satz, den er vor
langer Zeit gelesen hatte:
"G"tt
und Israel sind Zwillinge:" Ein unerhörtes Bild,
nicht wahr? Sind doch Zwillinge auf eine ganz besondere
Weise einander ebenbildlich, kann man doch an dem einen
den jeweils anderen erkennen. So auch verhält es sich
mit G"tt und Seinem Volk: beide verweisen aufeinander,
spiegeln einander die Heiligkeit zu.
Mögen
andere Völker und andere Nationen ihren Daseinszweck in
sich selbst tragen, Israels Ziele und Zwecke stehen ganz
bei G"tt. Mögen andere Völker und Nationen also
selbstbestimmt sein, Israel ist G"ttes Eigentumsvolk: erwählt
vor und unterschieden von allen Völkern.
Auch von G"ttes
zuvorkommender Liebe hatte der Mann auf dem Marktplatz
gesprochen. So anfänglich und zuvorkommend ist G"ttes
Liebe zu Israel, daß alles Fragen nach dem Grund dieser
Liebe sinnlos-abgründig erscheint. Genauso gut könnte
man nach dem Existenzgrund G"ttes selbst fragen, danach
fragen, warum G"tt überhaupt existiert.
Eine Liebe
von Anfang an: Als G"tt aus dem brennenden Dornbusch
heraus Mose dazu beruft, Israel aus dem Sklavenhaus Ägypten
in die Freiheit zu führen, da sagt er zu Mose: "Ich
habe das Elend meines Volkes in Ägypten wohl gesehen."
Es ist das erste Mal in der Hl. Schrift, daß G"tt vom
Volk Israel spricht, und sofort geschieht es im liebend-engagierten
Zugriff: Mein Volk!
Israel
also: G"ttes erste Liebe. Und wie es sich mit der ersten
Liebe eben verhält: nicht nur ist sie besonders
dauerhaft und hält gar manches Mal ein ganzes Leben
lang, sondern auch: an und mit der ersten Liebe lernt man
das Lieben überhaupt erst.
Vielleicht
gebraucht deshalb der Prophet Sacharja einmal das schöne
Bild, Israel sei der Augapfel G"ttes. Wenn uns etwas sehr
Wertvolles anvertraut wird, so sagen wir: "Ich will
es hüten wie meinen Augapfel. Es soll mir so kostbar wie
mein Augenlicht sein."
Aber noch
etwas anderes, etwas Biblisches schwingt in dem Bildwort
des Propheten mit.
Mit dem
Augenlicht nehmen wir die Welt wahr, erkennen wir die
Welt, und "erkennen", das wissen Sie vielleicht
von Adam und Eva her, "erkennen" heißt "lieben":
die beiden ersten Menschenkinder, Mann und Frau,
erkannten einander, d.h. sie lernten, einander liebend zu
umarmen.
Wohl wahr,
G"tt ist der Herr alles Geschaffenen, vor Ihm neigen sich
Himmel und Erde, allein, daß Er mit allen Menschen im
Bunde sein will, ein Bundesgenosse von uns Menschen,
dieses Lieben gewann sich G"tt, als Er Sein Volk sich zum
Eigentum erkor Schoschana, die Rose unter lauter
Dornen.
"Gesegnet
seist du, Ewiger, König der Welt, der du uns geheiligt
hast durch deine Gebote" so beginnt eine Fülle
jüdischer Segenssprüche , um dann jeweils fortzufahren,
das konkrete geheiligte Tun zu nennen, z.B.: "und
uns geboten hast, das Schabbatlicht zu entzünden."
Einander
in Heiligkeit verbunden zu sein, das ist weder ein
unbeweglicher Zustand noch gar ein einmal erworbener
Besitz, sondern solcher Bund bewährt sich fort und fort
im konkreten Tun. Wäre es anders, G"tt und Israel verlören
einander aus dem Blick, denn sie wären einander nicht
mehr kenntlich. Israel, ein Volk wie alle anderen Völker?....
G"ttes liebender Blick ginge da ins Leere.
So aber
umschloß G"tt Seine Rose mit fünf Kelchblättern, sagen
die jüdischen Mystiker, welche fünf Blätter die fünf
Bücher Mose bedeuten. Auf daß Israel alle Weisungen und
Gebote G"ttes in der Welt tue, als Zeuge und zum Zeichen
Seiner Heiligkeit.
Und wir
Christen?
Lange,
viel zu lange hat uns unsere Selbstverliebtheit
verblendet und blind gemacht für G"ttes ewige Liebe zu
Seinem auserwählten Volk. Statt uns an Seiner Liebe
mitzufreuen, verkehrten wir oft, viel zu oft die Verheißungen
des Neuen Bundes, indem wir uns das neue und wahre Israel
nannten. So stahlen wir Israel die Krone seiner Erwählung
und nahmen ihm sein Erbteil. Wir können nur demütig
hoffen, der getreue G"tt möge zu Seinen Verheißungen
stehen, unter die uns Jesus Christus geführt hat. Denn
er führte uns aus der heidnischen Götternacht heraus
und gab uns das Zeichen der Taufe: auf daß auch wir
teilhaben an G"ttes erster Bundesliebe.
Dank sei G"tt,
daß Er uns aus Seinem Volk entgegenkommt in Jesus
Christus, unserem Herrn.
Kanzelssegen:
"Der Friede Gottes, der höher ist als alle
Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus."
(Phil 4,7).
Amen.